Mobilität: Das Wüstennetzwerk der Tuareg

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Die Tuareg leben und arbeiten in der Sahara. Die Wiener Sozialanthropologin Ines Kohl untersuchte, wie sie Migranten und Waren sicher durch die Wüste bringen.

Migranten, die von südlich der Sahara abstammen, sterben nicht nur im Mittelmeer, sondern auch schon vorher in der Wüste“, sagt Ines Kohl, Sozialanthropologin der Österreichischen Akademie der Wissenschaft (ÖAW). Kohl beschäftigte sich in einem vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) geförderten, Ende August auslaufenden, Projekt „Sahara Connected“ mit transnationaler Mobilität der Tuareg. Sie sind beinahe die einzigen Spezialisten, die Migranten – aber auch Waren jeglicher Art – sicher durch die Wüste bringen.

Wird die Hilfe der Tuareg nicht angenommen, hat das fatale Folgen: Es gibt immer wieder Leichen- und Knochenfunde. Die Wüste gibt die meisten Toten aber nie mehr zurück. Migranten unterschätzen oftmals die Hitze und nehmen zu wenig Wasser für die drei bis zehn Tage dauernde Reise mit. Die Mehrzahl der Reisenden rechnet oft mit nur bis zu fünf Liter Wasser im Proviant für das gesamte Unternehmen. Sie brauchten jedoch unter der sengenden Hitze mindestens zehn Liter pro Tag. Das Hauptproblem ist allerdings die Topografie der Sahara: Sie gleicht einem sandigen Labyrinth aus Dünen.

Wissen sichert das Überleben

Hier kommen die Tuareg ins Spiel: Das zumeist nomadisch lebende Volk ohne eigenen Staat durchzieht die Sahara schon seit Jahrhunderten mit seinen Karawanen – früher mit Kamelen, heute mit Toyotas. Sie bunkern Wasser an bestimmten Stellen, haben genügend Treibstoff und können sich orientieren. Fällt das GPS aus, halten sie sich an die Sternen oder an das Gelände. Hier sind kleinste Erhebungen zentral, denn die Landschaft verändert sich kaum. Die Tuareg fahren schlicht nach „Osten, Osten, Osten und an einem gewissen Punkt nach Westen. Wann der Zeitpunkt des nach Westen Fahrens kommt, das wissen sie einfach“, sagt Kohl.

Die Saharanomaden sind zum Teil sesshaft geworden. Sie leben in Algerien, Libyen, Mali, Niger und Burkina Faso. Diese – ausschließlich kolonialen – Grenzziehungen prägten das Leben der Tuareg, gerade ab den 1960er-Jahren, als die französischen Gebiete zu Nationalstaaten wurden. Unterschiedliche Schulbildungen – sofern es Schulen gibt – und verschiedene politische und ökonomische Systeme formten ihr Denken. Tuareg definieren sich seither über den Nationalstaat, in dem sie wohnen.

Saharas Drogenschmuggel

In Mali fordern die Tuareg eine Autonomie ihres traditionellen Siedlungsgebietes Azawad. Hier kommt es seit Jahren zu bewaffneten Konflikten. Die insgesamt sechs bis acht Millionen Tuareg verfolgen aber keine einheitliche Strategie. Sie unterscheiden sich durch ihre Herkunft, ihre Religion und ihre politischen Ideen. Die islamistischen Tuareg sind eine Minderheit. Die Mehrheit erkennt die Grenzen an, die mitten durch die Sahara gehen. Eine Barriere für viele, ein Verbindungsglied für die Tuareg: „Ihre Wege legen sich seit Jahrhunderten wie ein Netzwerk über die Wüste“, sagt Kohl.

Kokain- und Haschischschmuggler ziehen ebenfalls durch die Wüste. Das von Südamerika stammende Kokain findet seinen Weg von der westafrikanischen Küste durch die Sahara nach Ägypten oder Israel und weiter Richtung Europa. Viele junge Tuareg lassen sich vom Geld der Drogenmafia wegen fehlender Arbeitsmöglichkeiten und weniger Perspektiven locken. Sie werden zu kleinen Handlangern, etwa zu Chauffeuren oder Securities. Wobei sie gar nicht wissen, wer ihre Auftraggeber sind.

Multinationale Konzerne greifen ein

Zurzeit verändern aber geopolitische Interessen das Leben der Tuareg: „Europa, China und die USA sind an den Ressourcen der Sahara interessiert“, sagt Kohl. Das führe zur Zerstörung des alten Netzwerkes der Tuareg, denn nun beanspruchen multinationale Konzerne die Gebiete in der Wüste.

Im Moment betrachtet niemand die Tuareg als Gefahr. Das könnte sich aber ändern, wenn wirtschaftliche Interessen zunehmen: „Solange sich Politik, geostrategische Überlegungen und Wirtschaft mischen, ist ein Friede in der Region wohl aussichtslos“, sagt Kohl. Der Tod in der Sahara hat viele Gesichter – und wird bleiben.

Lexikon

Die Tuareg sind eine zu den Berbern zählende Sprachgruppe in der Sahara. Sie lebten jahrhundertelang nomadisch im Gebiet der heutigen Staaten Mali, Algerien, Niger, Libyen und Burkina Faso und zählen heute zwischen sechs und acht Millionen Menschen. Alte Zahlen stammen aus der französischen Kolonialzeit des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts und sprechen von ein bis zwei Millionen. Diese sind noch im Umlauf – etwa auf Wikipedia – müssen aber revidiert werden. Die Tuareg sind wegen ihrer Routen und Netzwerke das Verbindungsglied zwischen Nordafrika, der Sahara und der Sahelzone südlich der Wüste.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2015)

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