Die ältesten Flöten der Welt

(c) AP (Daniel Maurer)
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In einer Höhle in der Schwäbischen Alb fanden sich bis zu 40.000 Jahre alte Musikinstrumente. Wer fertigte sie an und spielte sie?

Nein, die Schwaben haben nicht immer geschafft und gebaut, ihre ganz frühen Ahnen haben von der Natur gemachte Wohnstätten bezogen, Höhlen in der Schwäbischen Alb, und daraus bisweilen Laute erklingen lassen, wie sie die Region – und vielleicht die Erde – noch nicht vernommen hatte: Vor über 35.000, vielleicht gar 40.000 Jahren spielten sie in einer der Höhlen – Hohle Fels, 40 Kilometer von Ulm – Flöten, eine 21,8 Zentimeter lange aus dem Flügelknochen eines Geiers, zwei aus Mammutelfenbein. Ausgegraben wurden sie von Nicholas Conard (Uni Tübingen), der vor Kurzem einen gleichrangigen Fund aus der gleichen Höhle publizierte, eine Venus aus Mammutelfenbein, sie lag nur 80 Zentimeter neben der Geierflöte, auch sie ist 35.000 bis 40.000 Jahre alt.

Musik: Topfenstrudel fürs Ohr?


Wer waren die Menschen, die ein so reiches wie hohes kulturelles Leben führten? Das ist die eine Frage, die andere ist die nach der Bedeutung der Musik für die Menschwerdung oder zumindest für die Entwicklung der Sprache: Musik habe in der Evolution null Bedeutung gehabt, sie sei nur schmückendes Beiwerk – „auditory cheesecake“ –, provozierte 1997 Kognitionsforscher Stephen Pinker (MIT) in „How the Mind Works“: „Verglichen mit Sprache, Sozialverhalten und physischem Know-how könnte Musik verschwinden, und der Rest wäre praktisch unverändert. Musik scheint eine einfache Vergnügungstechnologie zu sein, ein Cocktail entspannender Drogen.“


Das brachte Widerspruch. Manche sehen in Musik die Ahnfrau der Sprache: Viele Tiere kommunizieren mit Gesang, viele Sprachen sind „Tonsprachen“ – im Chinesischen etwa hängt die Bedeutung eines Worts an seiner Betonung –, viele Forscher vermuten deshalb wie Neuropsychologe Stefan Koelsch (Leipzig), „dass das Melodiöse unserer Sprache die Basis ist und dass die melodischen Signale vor den phonetischen kamen“ (Nature Neuroscience 7, S. 203).


Und was die Evolution im breiteren Sinn angeht, könnte Musik viele Rollen gespielt haben: Männer könnten mit ihr geworben haben, Frauen könnten mit ihr Kinder in den Schlaf gewiegt haben, um Zeit zum Sammeln von Früchten zu gewinnen, diese Vermutung gibt es, sie heißt „bringing down the baby hypothesis“. Haben sie deshalb im Schwäbischen Flöte gespielt, oder stand es in Kultzusammenhang mit der Venus?

Musiker: Homo sapiens oder Neandertaler?


Aber vor allem: Wer spielte? 1996 wurde in Slowenien eine „Flöte“ gefunden, die 43.000 Jahre alt war. Damals gab es in Europa nur Neandertaler, die galten als primitiv, also konnte die „Flöte“ keine Flöte gewesen sein, sondern ein Knochen mit Bissspuren von Raubtieren, entschieden ist es bis heute nicht. Der jetzige Fund hat das gleiche Problem: Der erste bisher gefundene Europäer unserer Art – Homo sapiens – lebte vor 35.000 Jahren in Rumänien. Und die Flöte und die Figurine in der weit entfernten Schwäbischen Alb sind mindestens 35.000 Jahre alt. Conard tendiert doch dazu, sie für Werke von Homo sapiens zu halten, die gleichzeitig mit Neandertalern in der Region gelebt haben – und ihnen im Sozialleben inklusive gemeinsamen Musizierens überlegen gewesen sein sollen (Nature, 24. 6.).


Das ist Spekulation, in der Höhle gibt es keine Menschenfossilien aus dieser Zeit. Aber auch wenn Conard recht hat, waren die Musiker keine „deutschen Meister“, sondern eben aus Afrika oder Asien eingewandert.

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