Feinde der Feinde, zu Hilfe!

Bacteriophages on bacteria, illustration
Bacteriophages on bacteria, illustrationTHIERRY BERROD, MONA LISA PRODUCTION / Science Photo Library / picturedesk.com
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Bakterien werden gegen immer mehr Antibiotika resistent, deshalb hofft man auf ihre natürlichen Gegner: Bakteriophagen.

In Blackwater war die Pest erschreckend gewesen, in Carib war sie ein Weltuntergang. Der Schwarze Tod war in jedes Haus eingekehrt.“ So dramatisch klang das 1925 im Roman „Arrowsmith“ von Sinclair Lewis, der einen jungen Arzt in eine Epidemie auf fiktiven Inseln der Karibik geraten lässt. Ähnlich dramatisch klang es 1997 aus einem Spital in Japan: Dort waren erste Bakterien resistent gegen alle Antibiotika geworden, sie drohten, diese Waffen stumpf zu machen. Neue sind nicht im Köcher, aber vielleicht könnte helfen, was 1925 in der Karibik geholfen hat: „Das Phag“. So übersetzte Daisy Bródy Anfang der Fünfzigerjahre (Rororo 103–105), damals kannte kaum ein Leser das Wort, mit dem die Kleinsten im Reich des Lebens seit 1917 bezeichnet werden: Bakteriophagen.

Es gibt sie überall und in unvorstellbarer Zahl, 50 Millionen pro Milliliter Wasser oder Gramm Erde, insgesamt 1031 Stück, das ist natürlich eine grobe Schätzung, aber sie trifft sich gut mit der geschätzten Bakterienzahl von 1030. Macht pro Bakterium zehn Phagen, und die räumen entsprechend auf, jeden Tag wird fast die halbe Bakterienpopulation der Gewässer attackiert.

Dass irgendwer das macht, fiel dem Chemiker H. Hankin 1896 in Indien auf, am verschmutzten Wasser des Ganges: Etwas in ihm tötete Cholerabakterien, sehen konnte man es nicht. Was es war, blieb auch Frederick Twort verborgen, er bemerkte das Phänomen 1915 als Nächster und nannte die putativen Bakterientöter „ultramikroskopische Viren“. Der zündendere Name – Bakteriophagen gleich Bakterienfresser – kam zwei Jahre später von Félix d'Hérelle, er beanspruchte auch die Entdeckung für sich, das ist hoch umstritten. Außer Frage steht hingegen, dass mit ihm der Siegeszug der Bakteriophagen in der Medizin begann, er heilte 1919 den ersten Patienten, ein Kind, von Bakterienruhr, er tat es mit irgendetwas, was er aus dem Kot des Kindes sorgsam herausfiltrierte, sehen konnte man es immer noch nicht, das gelang erst 20 Jahre später mit Elektronenmikroskopen. Die zeigten vielfältigste Formen, zur Ikone wurde die des Phagen T4, er jagt Kolibakterien und ähnelt frappant dem Mondlandegerät der Nasa.

Aber man musste es nicht sehen, es wirkte ja, gegen viele Bakterien, in den USA brach ein Boom los, Big Pharma stieg ein, Eli Lilly. Aber es wirkte nicht immer, und es gab Komplikationen, 1934 kam die American Medical Association zu einem vernichtenden Urteil, der Boom brach abrupt zusammen.

In den USA. Am anderen Ende der Erde begann er erst, in Tiflis, der Hauptstadt der Sowjetrepublik Georgien. Von dort war Giorgi Eliava als Student zu d'Hérelle gekommen, nach seiner Rückkehr 1923 gründete er ein Bakteriologisches Institut. 1933 stieß d'Hérelle zu ihm, er war Kommunist, widmete sein erstes in der Sowjetunion verfasstes Buch dem Genossen Stalin, „der von der unwiderstehlichen Logik der Geschichte geleitet wird und die Gesellschaft schon so weit aufgebaut hat, dass über das Endergebnis kein Zweifel herrschen kann“.


Retter vieler Rotarmisten. Die ersten Ergebnisse waren Stalins Verbot des Buchs und der gewaltsame Tod Eliavas, er zerstritt sich mit Geheimdienstchef Berija und überlebte das nicht. Aber die Phagentherapie tat es, die Rote Armee setzte Eliavas Institut auf die Liste der kriegswichtigen Lieferanten – Phagen retteten viele Verwundete –, dort blieb es bis zum Ende der Sowjetunion. Dann übernahm Georgien, in den Bürgerkriegen der 1990er-Jahre hatten seine Soldaten ein Phagen-Kombispray gegen fünf Bakterien dabei (Science 298, S. 728).

Der Westen blieb desinteressiert, obwohl Bakteriophagen dort auf einem ganz anderen Feld lang schon eine Spitzenstellung einnahmen, in der Biochemie: An Phagen bemerkte man, dass DNA der Träger der Erbinformation ist, an Phagen bemerkte man so vieles, dass Biophysiker Max Delbrück – er hatte 1938 alle Kundigen im Phagen-Club versammelt – 1969 mit dem Nobelpreis geehrt wurde, er hatte an T4 gezeigt, wie Phagen sich vermehren.

Das tun sie so: Sie docken an Bakterien an, bohren ein Loch in die Wand und schießen ihre RNA hinein, mit 50 Atmosphären, zehnmal so viel, wie beim Öffnen einer warmen Sektflasche frei werden (Pnas 100, S. 9292). Die RNA lässt dann vom Bakterium neue Phagen bauen, die danken es dem Wirt mit Lysozym, einem Enzym, das die Zellwand zersetzt, dann schwärmen sie aus. Und suchen den nächsten Wirt, einen von der gleichen Bakterienart: Phagen sind spezialisiert, sie schlagen nicht querbeet zu wie Antibiotika, das ist einer ihrer Vorteile, ein anderer liegt darin, dass sie auf Resistenzen von Bakterien mit Mutationen antworten und den Rüstungswettlauf offen halten.

Das können Antibiotika nicht, und als in den späten 1990er-Jahren die Angst vor multiresistenten Keimen wuchs, wandten sich auch westliche Augen auf das immer noch existierende Institut in Tiflis. Forscher fuhren hin, Geschäftemacher auch, eine Gründerwelle brach los, vor allem in den USA. Aber so einfach geht es mit Phagen auch wieder nicht, man muss für jedes Bakterium die richtigen finden, sie dann gut reinigen, von Giften der Bakterien, in denen sie vermehrt werden. Und wenn man sie endlich hat, tun sie bisweilen – gar nichts: Sie töten nicht immer sofort, halten oft lang still, müssen sich vergewissern, dass genug andere Beute in der Gegend ist, das können sie messen.

Der Probleme wegen verflachte auch dieser Boom. Nun kommen neue Anläufe, zunächst in Nischen wie der des Besprühens von Lebensmitteln zum Keimtöten, in den USA ist das zugelassen. Dann will man sich vortasten, über die Veterinärmedizin zu der am Menschen, eine Empfehlung des National Institute of Allergy and Infectious Diseases hat 2014 Schwung gebracht. Inzwischen sind elf Firmen an Tests, drei an klinischen, etwa zum Schutz von Implantaten, dorthin dringen Antibiotika schwer vor (The Scientist 1. 1.).

Manche Forscher experimentieren mit ganzen Phagen, auch Mixturen, andere fürchten Risiken, sie nehmen nur die Lysozyme. Und die Firma Synthetic Genomics will etwas ganz Neues, bzw. ihr Kopf will es, Craig Venter, der „Gen-Hexer“: Er kennt sich von den Grundlagen her aus, hat 2002 sein erstes synthetisches Genom gebaut – das eines Phagen – und will nun Phagen-Genom-Kombinationen maßschneidern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2016)

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