Der Pilz für Bier, Wein, Brot

Der Chemiker Louis Pasteur entdeckte, dass Mikroorganismen für die Gärung (Fermentation) verantwortlich sind.
Der Chemiker Louis Pasteur entdeckte, dass Mikroorganismen für die Gärung (Fermentation) verantwortlich sind.(c) Science Photo Library / picturedesk.com
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Lang bevor die Menschen wussten, was Hefe ist, haben sie diese schon domestiziert. Das hat diesen Pilz verändert, das liest man aus seinen Genen.

Die Kulturgeschichte des Menschen ist auch die Geschichte der Lebewesen, die er benutzt. In Wirklichkeit sei es umgekehrt, hat der kluge Gärtner Michael Pollan in seinem Buch „Botanik der Begierde“ behauptet: Setzen nicht die Pflanzen ihren Vermehrungswillen durch, indem sie den Menschen dazu verführen, sie anzubauen? Der Apfel etwa durch seine Süße, das Cannabis durch seine Rauschwirkung?

Das waren Polans Beispiele. In Sachen Rauschwirkung fallen einem schnell weitere Wesen ein, die es dieser verdanken, dass wir sie verbreiten. Die Weinrebe etwa oder die Gerste. Und in Kombination mit beiden: ein einzelliger Pilz, den man in England yeast nennt, in Norddeutschland Gest oder Bärme, in Österreich Germ, in Frankreich lavure, von lever, heben, weil er den Teig hebt. Davon kommt wohl auch der Name Hefe, der oft in Zusammensetzungen verwendet wird: Bierhefe, Backhefe, Bäckerhefe, Weinhefe.

Ist das alles das Gleiche? Man verzeihe die feige Antwort: im Prinzip ja. Meist handelt es sich um den Pilz Saccharomyces cerevisiae, der Artname kommt vom Bier, der Gattungsname heißt Zuckerpilz. Denn er lebt von Zucker. Wenn ihm kein Sauerstoff zur Verfügung steht, gewinnt er seine Energie, indem er Zucker zu Kohlendioxid (das beim Backen den Teig lockert) und Ethanol (den Alkohol, dessen Rauschwirkung in vielen Kulturen geschätzt wird) abbaut. Das nennt man alkoholische Gärung, der französische Chemiker Joseph Gay-Lussac stellte 1815 die Reaktionsgleichung auf: C6H12O6 = 2C2H5OH + 2CO2 lautet sie.

Mag sein, aber wie funktioniert das? Das fragten sich die Chemiker des 19. Jahrhunderts auch. Vertreter der mechanistischen Gärungstheorie, etwa der für seinen Fleischextrakt bekannte Justus von Liebig, meinten, da seien katalysierende Stoffe am Werk. Louis Pasteur dagegen erklärte 1857 die vitalistische Gärungstheorie: Es brauche lebende Zellen. Die Wahrheit liegt in der Mitte: Es geht auch ohne lebende Zellen, aber mit Katalysatoren, die von solchen hergestellt werden, also mit Enzymen. Von Zymase sprach Eduard Buchner, der das 1897 zeigen konnte, heute noch geben wir den Enzymen Namen, die mit -ase enden. Aber heute wissen wir, dass die Hefe – wie jeder Organismus – sehr viele Enzyme verwendet, um ihren Stoffwechsel zu steuern. Unter jenen, die sie für die alkoholische Gärung braucht, sind übrigens Alkoholdehydrogenasen, wie sie auch aktiv sind, wenn wir Ethanol abbauen, nachdem wir zu viel davon genossen haben.

Natürlich? Dann spüren wir, dass Ethanol im Übermaß als Zellgift wirkt. Auch für Hefe: Zu viel bringt sie um, das begrenzt den Alkoholgehalt der Getränke, die man mit ihr machen kann. Für Portwein oder Sherry braucht man besonders alkoholtolerante Hefen, die einen Gehalt von 16 Prozent erzielen. Mit Turbohefen kommt man noch höher. „Unsere Hefestämme werden speziell für Brennereien gezüchtet“, verspricht eine Firma: „Sie sind natürlich und nicht genetisch manipuliert.“

Mag sein. Aber was ist natürlich? Wie domestiziert sind die Hefestämme, die für uns arbeiten? Das sahen sich Mikrobiologen um Brigida Gallone (Leuven, Belgien) an. Sie untersuchten die „Domestication and Divergence of Saccharomyces cerevisiae Beer Yeasts“, so der Titel ihrer in Cell (166, S. 1) erschienenen Publikation, indem sie die DNA von 167 industriell verwendeten Stämmen lasen, aus der Produktion von Brot, Bier, Wein, Schnaps, Sake und Bioethanol. Eine aufwendige Arbeit, für die sie sich mit White Labs zusammentaten, einer US-Firma, die spezielle Hefestämme an Bierproduzenten verkauft und verstehen will, wie diese wirken, denn, so der Hefegenetiker Kevin Verstrepen: „Der Geschmack von Bier hängt weitgehend von der Hefe ab. Wir trinken heute das beste Bier, weil antike Brauer so schlau waren, Hefe zu züchten, bevor sie wussten, was sie da tun.“

Natürlich war den Brauern, Bäckern und Weinbauern vor Pasteur nicht bewusst, dass sie die Evolution von Pilzen manipulieren, wenn sie Schaum, der im werdenden Bier oben schwimmt, weiterverwenden oder, wie Plinius beschrieb, Weizenkleie mit drei Tage altem Traubenmost versetzen. Aber sie taten es. Und es hat gewirkt. Vor allem in der Bierproduktion verwendete Hefe zeigt die typischen Eigenschaften domestizierter Lebewesen: Sie gedeihen gut in der Umwelt, die ihnen der Mensch macht, aber schlecht in der freien Natur. So hat Bierhefe die Fähigkeit zur sexuellen Fortpflanzung weitgehend verloren; und sie erträgt Umweltstress schlechter als natürliche Stämme, kein Wunder, die Brauer tun ja alles, um ihr das Leben leicht zu machen.

Naturbelassener sind die in der Weinproduktion tätigen Stämme. Das liegt daran, so die Forscher, „dass sie nur eine kurze Zeit im Jahr im Wein wachsen und den Rest auf den Weinstöcken oder in Insekten verbringen“. Dort können sie auch mit wilden Stämmen hybridisieren. „In diesem Sinn sind Bierhefen wie Hunde, völlig zahm und an ihre Beziehung zum Menschen angepasst“, meint Brigida Gallone: „Weinhefen dagegen haben eher den wilderen Charakter von Katzen.“

Freilich zeigen auch Weinhefen Zeichen der Domestizierung, etwa vergrößerte Resistenz gegen Kupfer und Sulfit. Doch die schönsten Beispiele der Anpassung zeigen Bierhefen. So sind in ihnen Gene inaktiv geworden, die für die Bildung von 2-Methoxy-4-vinylphenol verantwortlich sind. Das ist ein Stoff, der scharf schmeckt, nach Nelken. In den meisten Bieren ist diese Geschmacksnote nicht erwünscht. In Hefeweizenbier schon: In den Stämmen, die dafür arbeiten, sind die entsprechenden Gene intakt.

Ein wenig Menschengeschichte kann man aus den Bierhefen auch lesen: Die Proben aus den USA stehen den britischen am nächsten, britische Siedler haben eben im frühen 17. Jahrhundert ihr Bier nach Amerika gebracht. Insgesamt fallen die 167 Proben in fünf Gruppen: eine asiatische (Sake), eine enthält Weinhefe, eine die in der Broterzeugung aktiven Stämme. Dazu kommen zwei Gruppen von Bierhefe, ihre jeweils letzten gemeinsamen Vorfahren lebten ca. 1590 und 1660 v. Chr. Kein Zufall, meinen die Forscher, dass just in dieser Zeit die häusliche Produktion von Bier der Herstellung in größerem Maßstab gewichen ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2016)

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