Das große Jagen

Ja, er trägt sie besonders bedrohlich im Gesicht, die Jagdwerkzeuge, die frühe Fische entwickelten.
Ja, er trägt sie besonders bedrohlich im Gesicht, die Jagdwerkzeuge, die frühe Fische entwickelten.(c) Amos Nachoum/Danita Delimont/picturedesk.com
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Wie die Wirbeltiere zu Zähnen kamen und zu Kiefern, ist in vielen Details umstritten. Fest steht nur eines: Hinter allem steht die Neuralleiste.

Wenn zwei sich ineinander verbeißen, dann tun sie es mit einem der staunenswertesten Materialien, das die belebte Natur hervorgebracht hat, dem Biomineral Hydroxylapatit, es ist ein Kalziumphosphat: Daraus besteht der Zahnschmelz, er ist das Härteste und Dauerhafteste, was wir und die anderen Wirbeltiere im Körper haben, er kann Millionen Jahre überdauern. Viel von seinen Anfängen ist trotzdem nicht mehr da, sie sind lang her, Zähne kamen vor etwa 440 Millionen Jahren. Sie waren eine der großen Erfindungen der Evolution, mit ihr stellten Fische ihre Ernährungsweise um, und die ihrer Erben, wir gehören dazu. Zuvor lebten Fische vom Filtrieren, sie wie das heute noch Neunaugen tun, nun gingen sie auf die Jagd, fast alle.

Wie sie zum nötigen Werkzeug kamen, darüber wurde in der Forschung hart gebissen, eine Seite setzte auf „inside-out“, die andere auf „outside-in“: Die eine vermutete den ersten Zahnschmelz im Rachen, von dort sei er ins Maul gewandert, die andere sah seinen Ursprung in Schuppen der Haut, wie sie heute nur noch wenige Fische haben, Störe etwa. Der Streit wogte lang, viel spricht für die Haut, ganz geklärt ist es nicht. Fest steht eines: Zu danken sind die Zähne einem ganz besonderen Gewebe, dem der Neuralleiste.

Die sorgt auch für die Form der Knochen, in denen die Zähne sitzen, der Kiefer. Deren Ursprung liegt wieder im Dunkeln, Streit gibt es zudem darüber, ob erst die Kiefer da waren oder zur gleichen Zeit die Zähne auch. Und wozu sind sie überhaupt gekommen, die Kiefer? Darüber herrscht der nächste Dissens, möglicherweise ist dieses Jagdwerkzeug umwegig ganz anderen Jägern zu verdanken, das vermutet zumindest John Mallat (Washington State University): Kiefer seien aus Kiemen entstanden, aus deren vorgeschobensten Posten. Mit denen konnte das Maul gut geschlossen werden, wenn die Fische Wasser eingesogen hatten und es durch die Kiemen wieder hinausdrückten, um Sauerstoff daraus zu gewinnen. Die Ausbeute war um so höher, je besser das Maul versiegelt war – und je höher die Ausbeute war, desto wendiger wurden die Fische. Damit konnten sie erst denen entkommen, die hinter ihnen her waren – Quallen etwa –, dann nutzten sie es, um sich hinter anderen herzumachen und zuzuschnappen: „Kiefer entstanden zum Atmen“ (Zoological Science 25, S. 990).

Und taugten als Waffen. Aber Jagd braucht natürlich noch viel mehr, Sinne zum Aufspüren der Beute und ein Gehirn, das Lust macht auf die Jagd und ihre Abläufe koordiniert. All das entstammt der gleichen Quelle: der Neuralleiste. Was ist die nun endlich? „Alles, was an Wirbeltieren interessant ist, ist die Neuralleiste!“ Dieses Verdikt überlieferte der britische Evolutionsbiologe Peter Thorogood, sein Lehrer habe es oft und mit Strenge vorgetragen. Heute ist es weithin vergessen, im Biologieunterricht kommt es allenfalls am Rand vor, aber ihm ist wirklich der halbe Kopf der Wirbeltiere zu danken, und das drinnen auch: Die Neuralleiste ist ein Gewebe, das sich am Rückgrat von Embryos hinzieht und an dem entlang unspezialisierte Zellen zum einen Ende wandern, dort können sie verschiedenste Gewebe bilden.

Hühnern Zähne machen. Und dort formen sie den Schädel: Nutztiere nehmen im Zug der Domestizierung rundere Gesichter an, ihre Schnauzen – also ihre Kiefer – werden kürzer. Das ist möglicherweise ein Nebeneffekt: Züchter nahmen aus jedem Wurf die zutraulichsten Tiere, und deren Zutrauen mag daher rühren, dass entlang ihrer Neuralleiste wenige Zellen wandern. Daher das mildere Verhalten, daher der rundere Kopf. So stellen Adam Wilkins (Berlin), Richard Wrangham (Harvard) und Tecumseh Fitch (Wien) sich das zumindest vor, es ist Spekulation, etwas luftige (Genetics 197, S. 795). Hartes Faktum hingegen ist, dass man Hühnern Zähne wachsen lassen kann, rudimentäre wenigstens, obgleich Vögel vor 60 Millionen Jahren darauf verzichteten. Man muss ihnen nur Neuralleisten von Mäusen implantieren, die sorgen in den Schnäbeln von Hühnern dafür, Thimios Mitsiadis (London) hat das Experiment unternommen (Pnas 100, S. 6541).

Mäuse selbst nutzen ihre Zähne höchst selten zur Jagd, ein Fall ist auf Video dokumentiert: Es zeigt Wildmäuse, die in ein Labor eindrangen, in dem Heuschrecken gehalten wurden, über die machten sie sich her. Für gewöhnlich tun sie das nur bei Leblosem – bei vielem, sogar vor Zigaretten machen sie nicht halt –, aber die Molekularbiologie kann nicht nur Hühner mit Zähnen ausstatten. Sondern auch Mäuse mit einem Jagdtrieb: Dazu muss man nur zwei Zelltypen im Gehirn manipulieren, Uvan de Araujo (Yale) hat es getan, mit Optogenetik, die aktiviert Gene mit Licht, und dann passiert das: „Wenn wir den Laser einschalten, springen sie ein Objekt an, halten es mit den Krallen fest und beißen so intensiv, als würden sie versuchen, es zu töten.“ Wenn es etwas Lebendes ist, eine Grille, töten sie wirklich und verzehren die Beute (Cell 12. 1.).

Aber für gewöhnlich sind Mäuse keine Jäger, sondern Nager, das sieht man spätestens, wenn man sie im Haus hat. Nichts mehr sehen kann man hingegen beim Tasmanischen Tiger. Der war ein Beuteltier, das von Gestalt und Größe einem Hund ähnelte und vom Verhalten her im Verdacht stand, es auch zu tun, sich über Schafe herzumachen. Deshalb wurde er zu Tode gejagt, der letzte starb 1936 in einem Zoo. Ob sein Ruf als Jäger gerechtfertigt war, weiß man weniger, wissenschaftlich beschrieben ist sein Verhalten nicht.

Aber in die Schädeldecke könnte es sich eingeprägt haben, in ihr hinterlassen Gehirne Spuren. Spezialist dafür ist Gregory Berns (Emory), er hat in Museen zwei Schädel aufgetrieben und vermessen. Dann brauchte er etwas zum Vergleichen: Hundeschädel gehen nicht, Gehirne von Beuteltieren sind anders gebaut. Aber der Tasmanische Tiger hat einen lebenden Verwandten, den Tasmanischen Teufel. Der ist gegenüber Artgenossen höchst aggressiv – und verbreitet mit dem Beißen einen Tumor –, ernährt sich aber meist von Aas. Das Gehirn des Tigers war komplexer gebaut, vor allem in den Planungs- und Entscheidungszentren, Berns schließt daraus, dass der Tiger ein bedachter Jäger war (PLoS One 18. 1.).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2017)

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