Fakten und nicht Gewohnheiten sollen zählen

Formular einer Krebsvorsorge bei Frauen.
Formular einer Krebsvorsorge bei Frauen.(c) imago/blickwinkel (imago stock&people)
  • Drucken

Hilft's nix, schadet's nix? Das stimmt oft nicht. Im Projekt „Gemeinsam gut entscheiden“ wollen Forscher die Entscheidungsgrundlagen für Ärzte verbessern helfen. Und damit auch die medizinische Versorgung.

Die Herangehensweise an ein medizinisches Problem ist nicht selten Geschmackssache. Steile Hierarchien und eingebürgerte Routine können Gründe sein, übliche Praktiken nicht zu hinterfragen. Viele Länder haben deshalb Initiativen gestartet, die eine effiziente und evidenzbasierte Medizin (EbM, siehe Lexikon) fördern sollen.

In unseren Nachbarländern Deutschland, Schweiz und Italien gibt es solche Projekte bereits, alle unter sinnverwandten Namen, Vorreiter waren die USA mit der Initiative „Choosing wisely“. Seit Kurzem hat auch Österreich eine solche Initiative: „Gemeinsam gut entscheiden“ ist ein Kooperationsprojekt der Donau-Universität Krems und der Med-Uni Graz. Das Ziel ist es, Entscheidungen im klinischen Alltag mit Empfehlungen zu unterstützen, um eine Über- oder Unterversorgung bei medizinischen Leistungen zu vermeiden. Und zwar unabhängig davon, wer behandelt und wo.

Studien konnten nämlich zeigen, dass Qualität und Art der medizinischen Versorgung regional stark variieren. Diagnostik und Behandlung ein- und desselben Beschwerdebildes fallen also meist unterschiedlich aus, je nachdem, welches Krankenhaus aufgesucht wird. Obwohl diagnostische und therapeutische Leitlinien existieren, entscheiden Ärzte häufig nach persönlichen Vorlieben oder entsprechend gewachsener Gepflogenheiten. Hierzulande vertraut man oft auf Althergebrachtes – so auch im Gesundheitswesen. Frei nach dem Motto „Hilft's nix, schadet's nix“ oder schlicht aus Gewohnheit wird viel verschrieben und verordnet, was keinen Nutzen für den Patienten bringt oder sogar Schaden anrichten kann. Auch das Gesundheitssystem wird dadurch unnötig belastet.

Unnötige Therapien vermeiden

Der finanzielle Aspekt sei für das Projekt „Gemeinsam gut entscheiden“ jedoch – obwohl natürlich gesellschaftspolitisch relevant – nachrangig. „Uns geht es hauptsächlich um die gute Versorgung der Patienten, und wie man unnötige Untersuchungen und Therapien vermeiden kann“, betont Anna Glechner vom Department für Evidenzbasierte Medizin der Donau-Universität Krems. Sie leitet das EbM-Ärzteinformationszentrum und ist für das Projekt in Niederösterreich verantwortlich.

Ein Beispiel für vermutlich gut gemeinte, aber fragwürdige Praktiken ist der jährliche sogenannte PAP-Abstrich, der von Gynäkologen zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs abgenommen wird. Dieser ist für junge gesunde Frauen alle drei bis fünf Jahre empfohlen, wird aber in der Praxis deutlich öfter durchgeführt. Was laut der Expertin nicht nur kostenintensiv, sondern in Hinblick auf die Seltenheit der Erkrankung auch unverhältnismäßig ist. Im Zuge der Untersuchung entdeckte Veränderungen würden verunsichern und Ängste schüren. Außerdem führen sie schnell zu chirurgischen Eingriffen, die womöglich als reine Vorsichtsmaßnahme erfolgen und unnötige Risken mit sich bringen.

Medikamente, die zu leichtfertig verabreicht werden, sind weitere Beispiele für selten hinterfragte Traditionen in Krankenhäusern und Arztpraxen. Andere medizinische Leistungen kommen hingegen zu kurz, obwohl Bedarf bestünde. Im Rahmen des Projekts „Gemeinsam gut entscheiden“ prüfen und sammeln Mediziner Empfehlungen der verschiedenen Fachgesellschaften und stellen sicher, dass diese bei Ärzten und Patienten gleichermaßen auch wirklich ankommen.

LEXIKON

Evidenzbasierte Medizin, kurz EbM, nennt man medizinische Versorgung, welche Patienten auf Grundlage der besten zur Verfügung stehenden Wissensquellen bzw. Daten behandelt.

Sie stützt sich auf empirische Belege;Gewohnheiten oder persönliche Vorlieben der behandelnden Ärzte sollten dabei nicht die Basis für Therapieentscheidungen sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.