Sensoren können glücklich machen

Die erste fühlende Prothese, die Egger 2015 vorstellte, in einer Kletterwand.
Die erste fühlende Prothese, die Egger 2015 vorstellte, in einer Kletterwand.(c) Hubert Egger / OTS (Hubert Egger)
  • Drucken

Medizintechnik. Hubert Egger zeigte Besuchern des Technischen Museums, wie seine „fühlenden“ Prothesen funktionieren.

Im Technischen Museum in Wien gibt es einen Bereich mit historischen Prothesen, die für Kriegsversehrte gedacht waren. Bei der Performance „Love me Sensor“ demonstrierte der Südtiroler Hubert Egger Besuchern diesen Dienstag und Mittwoch, wie Prothesen der Gegenwart funktionieren können. Neben anderen dort präsentierten Beispielen aus der Sensorik wie schlafoptimierenden Wearables, Kameras, die die Erlebnisse von Hunden in Hundezonen aufzeichnen und einer Outdoor-Espresso-Maschine machte Egger erfahrbar, dass durch elektrische Impulse Muskeln stimuliert werden und so eine Handprothese bewegt werden kann.

Menschen können durch die Folgen von Diabetes, Infektionen, Tumorerkrankungen oder Unfälle Gliedmaßen verlieren. Der Genesungsweg nach einer Amputation kann schwierig sein. Die Pflege des Stumpfes und der Muskelaufbau, Rehas, die Suche nach den passenden Prothesen und Therapeuten kosten Zeit und Geld. Egger hat schon 2015 Prototypen für gedankengesteuerte und fühlende Prothesen entwickelt. Jetzt arbeitet er an der Universitätsklinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie in Innsbruck an einer vorklinischen Studie. In dieser untersuchen Forscher in Zusammenarbeit mit der Südtiroler Privatklinik Brixsana die Anwenderfreundlichkeit der intelligenten Prothesen. „Es hat sich gezeigt, dass die Mehrzahl der 20 Studienteilnehmer sehr positiv darauf reagiert. Authentisches Fühlen gibt den Menschen mehr Sicherheit,“ erklärt Egger.

Weniger Phantomschmerzen

„Außerdem stellen wir positive Auswirkungen auf Phantomschmerzen fest. Wenn unterbrochene sensorische Nerven reaktiviert werden und wieder Sinnesinformationen bereitstellen, braucht das Gehirn nicht nach verlorenen Gliedmaßen zu suchen.“ Nerven, die ursprünglich Füße oder Hände versorgt haben, liegen nach einer Amputation im Stumpf brach. Manchmal verursachen sie Schmerzen. „Einige Betroffene sprechen von einem schrecklichen Gefühl, als stecke ein Gegenstand in dem verlorenen Glied“, beschreibt Egger die Erfahrungen mancher Patienten.

In der oberösterreichischen Selbsthilfegruppe Leben mit Amputation berichteten 35 von 40 Patienten über „Phantomgefühle“. Zwanzig registrierten nur gelegentliche wetterbedingte Schmerzen, die durch Ausgleichsreaktionen des Körpers wie etwa auf veränderten Luftdruck hervorgerufen werden. Doch sechs Menschen litten unter permanenten Phantomschmerzen, die sie mit Medikamenten bekämpfen müssen.

Wenn herkömmliche Methoden zur Behandlung langfristiger Phantomschmerzen nicht zum Erfolg führen, kann eine Reinnervation sinnvoll sein. Dabei werden sensorische Nervenenden der ursprünglich gesunden Fußsohle als Überträger der Druckempfindung von der Prothesensohle reaktiviert. „Wenn ein Patient in der Reinnervationszone berührt wird, fühlt er an der Stelle Bereiche des abgetrennten Fußes wie etwa die Ferse“, erklärt Egger. So wird das Gehirn von der permanenten Erinnerung an den Verlust von Gliedmaßen entlastet. Sensoren in der Sohle des Prothesenfußes setzen Impulse an die operativ reaktivierten Nerven ab. Sie werden ins Gehirn weitergeleitet, sodass der Patient die Beschaffenheit des Bodens erkennen und Hindernisse besser erspüren kann. Er muss beim Gehen weniger oft auf die Füße schauen und kann sich trotzdem sicher fühlen.

Prothese soll leistbar sein

Fühlende Prothesen sind derzeit noch Hightech-Produkte und für die meisten Patienten unerschwinglich. Egger stellt seine Erkenntnisse und sein Patent vorbei an den Interessen großer Medizintechnik-Unternehmen Start-ups zur Verfügung. Er hofft, dass kleine Firmen Prothesenteile wie Sohlen mit Sensoren zu einem niedrigeren Preis auf den Markt bringen. „Meine Vision ist, dass die bionische Prothese kein Luxusprodukt auf dem Medizinmarkt ist. Ich bemühe mich, den Kostenträgern zu zeigen, dass intelligente Prothesen zu einer höheren Mobilität und Unabhängigkeit führen können.“ Ein großes Ziel dabei ist der Wegfall oder zumindest die Reduktion von Schmerzen, sodass sich Schmerzmittel erübrigen. „Es macht mich traurig, dass Menschen häufig nicht mit Prothesen gemäß dem Stand der Technik versorgt werden“, sagt Egger. Seiner Ansicht nach können auch ältere Amputationspatienten mit entsprechender Übung und Anleitung intelligente Prothesen richtig handhaben.

Im Technischen Museum nutzten jedenfalls viele Besucher die Möglichkeit, selbst die elektrischen Impulse zu spüren, die eine Prothese bewegen können. [ Schultheis]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.