Wie verbreitete sich das Christentum über die Erde?

Ob diese Religion deshalb so erfolgreich wurde, weil sie von Mächtigen gefördert wurde, oder ob Unterprivilegierte die auch irdische Heilsbotschaft vorantrieben, ist umstritten.
Ob diese Religion deshalb so erfolgreich wurde, weil sie von Mächtigen gefördert wurde, oder ob Unterprivilegierte die auch irdische Heilsbotschaft vorantrieben, ist umstritten. (c) APA (Georg Hochmuth)
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Ob diese Religion deshalb so erfolgreich wurde, weil sie von Mächtigen gefördert wurde, oder ob Unterprivilegierte die auch irdische Heilsbotschaft vorantrieben, ist umstritten. Zumindest in Austronesien setzten Missionare erfolgreich auf die Mächtigen.

Wie konnte aus einer Sekte mit 13 Köpfen im hintersten Judäa in kaum 2000 Jahren die Religionsgemeinschaft werden, die erdweit die meisten Mitglieder hat? Darüber streiten in der Forschung zwei Fraktionen, die eine setzt auf Machtstrukturen und top down. Ihr Kronzeuge ist der erste Anhänger dieses Glaubens an der Spitze eines Imperiums, Konstantin der Große, er platzierte Christen in Schlüsselpositionen seines Staatsapparats, und er ließ Geld an die Gemeinde fließen.

Allerdings kann man diese Schachzüge auch umgekehrt interpretieren, darauf und auf den Inhalt der Glaubensbotschaft, die sozial Egalitäres wie Nächstenliebe im Zentrum hat, setzt die Bottom-up-Fraktion: Ihr zufolge war die römische Gesellschaft vor allem in ihren unterprivilegierten Teilen schon so vom auch irdischen Heilsversprechen durchdrungen, dass Konstantin gar nicht anders konnte, als auf dieser Welle zu reiten.

Wie soll man den Streit entscheiden? Viele Gesellschaften sind politisch hierarchisch organisiert und zugleich sozial in Klassen geschichtet. Und in viele kam das Christentum zuerst mit den Jüngern und dann mit anderen Missionaren früh, das Rekonstruieren ist schwierig. Aber in einer Region der Erde dauerte es, in Austronesien, das ist die Inselwelt des Pazifik, 1668 trafen erste Verbreiter des Christentums ein. Sie trafen auf höchst unterschiedliche Gesellschaften: Manche, wie die der Isnegg auf einer Philippineninsel, waren in Familienverbänden egalitär organisiert, andere, wie die auf Hawaii, waren straff hierarchisch gegliedert, auch in den Sozialstrukturen gab es viele Varianten. Und dann waren da noch Populationen, die ein paar Hundert Mitglieder umfassten, andere hatten Zehntausende.

Deshalb hat Joseph Watts (MPI Human History, Jena) die konkurrierenden Hypothesen in dieser Region getestet, in 70 Gesellschaften. In den meisten kam die Christianisierung rasch voran – im Durchschnitt war sie nach 30 Jahren abgeschlossen –, andere blieben bis heute weithin bei Naturreligionen, die Kwaio etwa auf den Solomon Islands, sie schlugen Missionare tot. Ganz anders auf Kapinmarangi, die gesamte Bevölkerung war nach einem Jahr konvertiert.

Nicht auf Druck von unten

Aber wo auch immer, ein Effekt der egalitären Botschaft zeigte sich nirgends: „Wir finden keine Evidenz, dass die Präsenz einer Unterklasse das Konvertieren begünstigte“, berichtet Watts. Das mag auch an den Missionaren gelegen sein: „Die Ressourcen der Mission auf den mächtigsten Führer konzentrieren, den man gewinnen kann!“ Das war die Devise eines der erfolgreichsten Missionare in Austronesien, John Williams (1796–1839), auf der Insel Erromango half sie ihm am Ende nichts, die Bewohner waren Kannibalen, sie töteten und verzehrten ihn.

Hängt Christianisierung also an der weltlichen Macht, kam sie durch deren Willen so weit? Nicht nur, ein dritter Faktor war noch wirkmächtiger als die Hierarchie, die Größe der Gesellschaft: Kleine soziale Einheiten werden rascher von Innovationen durchdrungen. Auch das war bisher umstritten, da in größeren und segmentierten Gesellschaften Innovationen rascher ersonnen werden. Aber bis sie sich dann durchgesetzt haben, dauert es (Nature Human Behaviour 23. 7.).

„Unser Befund ist vermutlich generalisierbar“, schließt Watts: „Es gibt ähnliche Muster des Konvertierens in Afrika und Lateinamerika, wo durch Missionare Naturreligionen rasch vom Christentum abgelöst wurden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2018)

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