Ecstasy macht auch Kraken sozial

Kann umschalten zwischen Aggressivität und Zutraulichkeit: Octopus bimaculoides.
Kann umschalten zwischen Aggressivität und Zutraulichkeit: Octopus bimaculoides.(c) Tom Kleindienst
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Im Gehirn der wirbellosen Kopffüßer, von dessen Ahnen unsere sich vor 500 Mio. Jahren getrennt haben, wirkt der gleiche Neurotransmitter wie bei uns: Serotonin.

Kraken sind klug, sie haben es oft gezeigt, im alten Rom soll einer allabendlich aus einer Latrine geklettert sein und sich über die Vorräte hergemacht haben, gesicherter ist, dass einer vor zwei Jahren mit hoher List aus dem National Aquarium in Neuseeland flüchtete. Und wem fällt zum Thema nicht Krake Paul ein, der Orakler der EM 2010 , der alle Ergebnisse der Deutschen richtig kommen sah?

Allerdings ist diese Klugheit zweischneidig, Kraken sind, mit wenigen Ausnahmen, Einzelgänger und fallen mit ihrer Intelligenz auch übereinander her. Äußerlich erinnert das an den Menschen, obgleich der ein animal sociale ist und ein ganz anders gebautes Gehirn hat als der wirbellose Kopffüßer, von dessen Ahnen unsere sich vor 500 Millionen Jahren getrennt haben. Haben wir trotzdem auch im Innersten etwas gemeinsam? Ja, die Reaktion auf MDMA, das ist die Substanz, die in den 90er-Jahren unter dem Namen Ecstasy als Partydroge bekannt wurde: Sie macht zutraulich und einfühlsam und lässt bitterste Feinde von gestern als beste Freunde von heute erscheinen.

Diese Wirkung hat MDMA auch auf Octopus bimaculoides, einen Kraken, der in der Natur höchst asozial lebt, aber gerne in Labors gehalten wird, weil er sich dort vermehren lässt, er ist auch der einzige, dessen Genom sequenziert wurde, von einer Gruppe um Gül Dölen (Johns Hopkins University, Baltimore). Dabei fiel auf, dass ein Gen für einen Serotonin-Transporter sehr ähnlich ist wie bei uns. Bei uns sorgt dieser Transporter für die sozialisierende Wirkung von MDMA, er bewirkt die Freisetzung von Serotonin. Bei Kraken auch: Die Forscher haben es Männchen und Weibchen ins Wasser gemischt, dann haben sie die Tiere in ein Aquarium gesetzt, in dem drei Kammern waren, durch offene Zugänge miteinander verbunden: In der ersten war außer Wasser nichts, in der zweiten etwas Neugierweckendes: ein Spielzeug, in der dritten, in einem Käfig, ein Krake.

Evolutionär konserviert

Zu dem zog es die Testkraken, wenn sie unter MDMA standen, sie nahmen durch die Käfigstäbe hindurch Kontakt auf, erkundenden, nicht aggressiven. Cleane Kontrollkraken beiderlei Geschlechts hingegen mieden die Gesellschaft (Current Biology 20. 9.). „Die Gehirne von Kraken sind denen von Schnecken ähnlicher als unseren, und doch zeigen sie ein Verhalten wie wir“, schließt Dölen: „Offenbar sind gewisse Hirnchemikalien, Neurotransmitter wie Serotonin, die für dieses soziale Verhalten gebraucht werden, evolutionär konserviert.“ Man hat ähnliche Serotonin-Transporter auch schon in Fruchtfliegen gefunden und in Nematoden, aber ausgerechnet soziale Insekten wie Bienen haben sie nicht, sie vergesellschaften sich molekular anders.

Und wozu brauchen Kraken Serotonin? „Sie geben ihr antisoziales Verhalten zum Paaren auf“, erklärt Dölen: „Und wenn sie damit fertig sind, gehen sie wieder in den asozialen aggressiven Modus.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2018)

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