Das Turiner Grabtuch darf wieder nach Hause

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Nach einem verheerenden Brand war die für das Tuch gebaute Kapelle 21 Jahre lang nicht zugänglich.

Eigens für das Stück Stoff, das, wie manche meinen, den Leichnam Christi bedeckte, entwarf der bedeutende barocke Mönch und Architekt Guarino Guarini einst im 17. Jahrhundert in Turin eine Kapelle – nicht nur aus religiösen Gründen, sondern auch als Meisterwerk des piemontesischen Barocks wird sie bis heute geschätzt. Doch ein stundenlanger Brand, dessen Ursache bis heute nicht geklärt ist (auch Brandstiftung wird nicht ausgeschlossen), beschädigte den Bau 1997 schwer. Das Grabtuch selbst wurde in letzter Sekunde gerettet. Ein Feuerwehrmann hatte das schusssichere Panzerglas, unter dem sich der Stoff in einem Behälter befand, mit einem Hammer zerstört.

Seitdem war die Kapelle, die zwischen dem Turiner Dom und dem Palazzo Reale liegt, für Besucher geschlossen; seit Donnerstag ist sie nach 21 Jahren und aufwendiger Restaurierung wieder zugänglich. Damit kommt auch die berühmteste christliche Reliquie – die katholische Kirche nennt sie wohlweislich nicht so, sondern nur Ikone – wieder an ihren alten Platz. Sie ist seit dem Brand in einer Seitenkapelle des Turiner Doms in einem mit dem Edelgas Argon befüllten Spezialcontainer aufbewahrt worden.

Bis heute bleibt die Herkunft des Turiner Grabtuchs rätselhaft und heftig umstritten; sogar eine eigene Forschungsrichtung, die Sindonologie (vom altgriechischen Wort für Leichentuch) widmet sich ihm. Sichere Spuren reichen nur bis ins Mittelalter zurück: Radiokohlenstoffdatierungen von 1988 datierten das Tuch ins Mittelalter, Quellen aus dem 14. Jahrhundert zufolge wurde das Tuch damals in einer Kirche nahe der französischen Stadt Troyes gezeigt.

Mittelalter: Beschwerde über Betrug

Umstritten war es schon damals: Ein Bischof beschwerte sich beim Papst über das „listig gemalte“ Tuch, „auf dem mit kleverer Fingerfertigkeit das zweifache Bild eines Mannes dargestellt ist, das heißt Vorder- und Rückansicht, von dem sie fälschlich behaupten und vortäuschen, dass dies das wirkliche Grabtuch sei, in welches unser Heiland, Jesus Christus, in der Grabesgruft eingewickelt war“. Berichten zufolge sei der Künstler, der es gemacht habe, sogar entdeckt worden und habe den Betrug auch zugegeben.

Im 14. Jahrhundert waren auch andere bemalte Grabtücher in Umlauf – die Technik der Leinenmalerei mit Temperafarbe erzeugte ungewöhnliche transparente Effekte. 2009 unternahm es ein italienischer Chemiker ziemlich erfolgreich, das Tuch nachzubilden: Er ließ einen mit mittelalterlichen Methoden angefertigten Leinenstoff künstlich altern, legte das Tuch über einen Freiwilligen und ließ eine darauf verriebene Pigmentpaste einwirken.

Doch wie kam das Tuch nach Turin, das ihm für Jahrhunderte den Namen gab? Im 15. Jahrhundert gelangte es in den Besitz des Hauses Savoyen – und wurde danach durch die Päpste immer mehr aufgewertet. Julius II. widmete ihm 1506 einen eigenen jährlichen Feiertag, Gregor XIII. erließ 1582 einen vollkommenen Ablass für alle, die nach Beichte, Buße und Eucharistie vor dem Grabtuch beteten.

Als Turin neue Residenzstadt der Herzöge von Savoyen wurde, wanderte das Grabtuch dorthin, und einer der damals bedeutendsten Architekten, Guarino Guarini, baute dafür einen würdigen Schrein – eine an den Dom angefügte Kapelle. Seit 1587 wurde das Grabtuch dort aufbewahrt. Guarino war auch Mathematiker, die Zahl drei als Trinitätssymbol prägt die raffinierte und erfindungsreiche Architektur der Kapelle. Sie wird heute zu den großartigsten barocken Bauten gezählt.

„Unabhängig von ihrem künstlerischen Wert hat diese Kapelle auch eine große religiöse und symbolische Bedeutung“, verkündete Italiens Kulturminister Alberto Bonisoli bei der Wiedereröffnung am Mittwoch. „Wir geben Turin und der ganzen Welt ein Monument von höchstem Wert zurück.“ (sim)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2018)

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