Sehen höchstes Glück und Leid gleich aus?

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Just die stärksten Emotionen prägen das Gesicht so, dass sie sich kaum unterscheiden lassen. Nun haben sich doch winzige Differenzen zwischen Kulturen gefunden, beim Orgasmus, nicht beim Schmerz.

Das Gesicht ist der Spiegel der Seele? Das mag poetisch überhöht sein, aber im Ausdruck eines Gesichts steckt nicht nur Emotion, sondern auch Information. Die muss gar nicht als solche gesendet werden, sie kann aber in jedem Fall vom Betrachter extrahiert werden und interpretiert, als Signal: Wer etwa ein von Schmerzen verzerrtes Gesicht sieht, kann das als Hilferuf wahrnehmen und/oder als Warnung vor einer Gefahr, die er selbst noch nicht bemerkt hat. Und wer aus nächster Nähe in ein vor Glück außer sich geratenes Gesicht sieht, kann sich über gelungenen Sex freuen und die mögliche Aussicht auf Reproduktion.

Die beiden Extreme zeigen, wie zentral Gesichtsausdrücke und ihr Verstehen für das soziale Leben sind. Aber dazu müssen die Ausdrücke unterscheidbar sein, objektiv und im Auge des Betrachters. Beides ist von Geschlechterdifferenzen überbaut – Frauen zeigen und lesen im Ausdruck mehr, mit der Ausnahme, dass Männer einen schärferen Blick für Ärger im Gesicht anderer Männer haben –, beides ist kulturell überbaut: Der Individualismus des Westens setzt auf stärkere Signale, der ostasiatische Holismus auf gedämpfte, das bringt zwischen den Kulturen bisweilen Missverständnisse.

Adorno: Pin-ups ähneln Gefolterten

Zumindest bei schwächeren Signalen. Aber die stärksten sind doch universell, die von höchstem Schmerz, unter Folter etwa, und die von höchstem Glück, beim Orgasmus? Universell sind sie nach bisherigem Stand vor allem darin, dass sie voneinander kaum unterscheidbar sind: Vergewaltiger haben vor Gericht vorgetragen, sie hätten im Gesicht der Opfer Zustimmung gesehen; Theodor W. Adorno ist (in den „Minima Moralia“) aufgefallen, wie sehr die glückverheißenden Gesichter von Pin-ups den geplagten von Gefolterten ähneln; und Psychologen mühen sich in ihren Labors seit Langem, Differenzen im Ausdruck und der Interpretation der Extreme zu finden, bisher ohne großen Erfolg. Nun hat Rachael Jack (Glasgow) einen neuen Anlauf unternommen, mit computergenerierten Gesichtern, die Betrachtern aus dem Westen und Ostasien vorgelegt wurden. Demnach wird zwar äußerster Schmerz universell gleich ausgedrückt und wahrgenommen, bei äußerster Lust gibt es aber doch kleine Differenzen: Schmerz zieht das Gesicht nach innen zusammen – die Brauen gehen herab, die Wangen hinauf –, beim Orgasmus wölbt es sich nach außen, die Brauen heben sich, in Ost und West, aber im Westen öffnet sich der Mund weit, im Osten nur zu einem schmalen Lächeln. Beides zeigt sich im objektiven Ausdruck und noch stärker im Auge der Betrachter der jeweiligen Kultur (Pnas 8. 10.).

Die Forscher hoffen, in Zukunft mit verbesserten Techniken mehr Licht in die soziale Kommunikation bringen zu können. Sie bedenken nur nicht mit, dass man Gesichter für gewöhnlich nicht als neutrale Testperson auf einem PC in einem Psychologenlabor betrachtet, sondern dass die Wahrnehmung am eigenen Befinden in der jeweiligen Situation und am Wissen über den anderen hängt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2018)

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