Kulturkampf in Ästhetik und Design

Die Künstlerin Vally Wieselthier übte mit überzeichneten Frauentypen (im Bild: die Figur „Flora“ aus der MAK-Sammlung in Wien) subtile Gesellschaftskritik.
Die Künstlerin Vally Wieselthier übte mit überzeichneten Frauentypen (im Bild: die Figur „Flora“ aus der MAK-Sammlung in Wien) subtile Gesellschaftskritik.MAK/Georg Mayer
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Ideologien prägen immer auch die Stile einer Zeit. Elana Shapira erforscht, wie sich Kunst, Architektur und Gesellschaft in der Ersten Republik wechselseitig beeinflusst haben.

Sie glänzt schön in der Herbstsonne, die goldene Kuppel des Secessionsgebäudes zwischen Karlsplatz und Naschmarkt. Das Jugendstilgebäude ist ein Symbol für die Kunst einer Epoche, einer kulturellen Bewegung, deren Vertreter bis in die Gegenwart begeistern. Die ästhetischen Welten von Gustav Klimt, Koloman Moser und Josef Hoffmann wenden sich gegen den vorherrschenden Konservatismus der etablierten Kunstszene. Die glitzernde Dekorwelt der Wiener Moderne und ihrer Erben dominiert nicht nur die Rezeption des damaligen kulturellen Schaffens, sondern auch die wissenschaftliche Aufarbeitung. Eine Ergänzung dazu bietet die Forschung von Elana Shapira von der Universität für angewandte Kunst in Wien.

Dingfest gemachte Visionen

„Damals haben sich viele Intellektuelle auf den verschiedensten Ebenen mit den gegebenen gesellschaftlichen Strömungen, mit Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus auseinandergesetzt“, sagt die gebürtige New Yorkerin. „Das waren nicht nur Juden, sondern auch liberale Christen, sozialistisch gesinnte Menschen, darunter viele Frauen.“ Die Kultur- und Designhistorikerin arbeitet derzeit an einer neuen Kanonisierung kulturellen Schaffens und wissenschaftlicher Theorien.

Ihr geht es vor allem darum, die Relevanz des revolutionären Potenzials aus der Zeit von 1918 bis 1934 für Wien und Österreich zu verorten. Design und sozialen Fortschritt versteht sie dabei als eng miteinander verknüpft. Für ihr vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Forschungsprojekt „Visionäres Wien“ untersucht Shapira, wie – ausgehend von der Wiener Moderne – gegebene Designwelten infrage gestellt wurden. Die Forscherin will anhand von einzelnen Objekten und ästhetischen Darstellungen, aber auch von theoretischen und wissenschaftlichen Texten herausfinden, wie visionäre rationale Erkenntnisse und progressive gesellschaftliche Einstellungen in wechselseitiger Beeinflussung entwickelt wurden.

Karikatur statt Klimt-Schöne

Darum begibt sich Shapira zu einer Art Bestandsaufnahme regelmäßig in die unzähligen Archive der Stadt. „In einem ersten Schritt will ich zeigen, wie viel Material es aus dieser Epoche gibt“, meint sie. Anschließend stellt sie den Bezug zu anthropologischen, psychologischen und sozialwissenschaftlichen Theorien her. Design sieht Shapira als eine Möglichkeit zur Intervention, die dazu dienen kann, schwächeren Gliedern der Gesellschaft Instrumente zur Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs zu verschaffen.

Ein Beispiel für eine solche Intervention bei der Wiener Gesellschaft sind die Keramiken von VallyWieselthier, wie ein Beitrag der Historikerin Megan Brandow-Faller in dem von Shapira zusammengestellten und herausgegebenen kürzlich erschienenen Sammelband „Design Dialog: Juden, Kultur und Wiener Moderne“ darlegt (Böhlau Verlag, 475Seiten, 36 Euro). Die schon damals erfolgreiche Künstlerin zeige Frauentypen von der Verführerin bis zur Hausfrau, ähnlich den heute populären Fotoserien der Künstlerin Cindy Sherman, so Shapira: „Sie hat die Frauen nahe an einer Karikatur gestaltet. Durch diese Übertreibung gelingt es ihr, dass ein Reflexionsprozess über bestimmte Rollen einsetzt.“ Wieselthiers Arbeiten erscheinen als Gegenbild zu Klimt und seinen schönen Frauen.

Revolutionäres Potenzial

Typisch für die Zwischenkriegszeit seien intellektuelle Kooperationen über Disziplinen hinweg. „Die Menschen mussten sich mit Traumata und Verlusten auseinandersetzen. Um diese Krisen zu bewältigen, kooperierten viele Künstler, Designer und Wissenschaftler“, so Shapira. „Sie überlegten, wie sie gemeinsam die Gesellschaft verbessern könnten.“

Einer dieser Zusammenschlüsse, der im Sammelband von der Kunsthistorikerin Inge Podbrecky diskutiert wird, war jener des Architekten Josef Frank mit dem Nationalökonomen Otto Neurath. Die beiden beschäftigten sich mit der Gestaltung von Arbeiterwohnungen und Arbeitersiedlungen, deren Architektur weg von Bevormundung hin zur Selbstgestaltungsfreiheit gehen sollte. Im Vordergrund stand das soziale Erleben. „Frank brachte zum Beispiel auch Textilien und Muster hinein, die üblicherweise für eine gut situierte Bourgeoisieklientel verwendet wurden“, erklärt Shapira. „Florale und harmonische Muster sollten ein gutes Gefühl vermitteln.“

Eine andere fruchtbare Kooperation entwickelte sich zwischen dem Architekten Franz Singer und der Malerin und Innenarchitektin Friedl Dicker-Brandeis. Sie überlegten, wie Design die reformpädagogischen Montessori-Methoden unterstützen kann. „Im Design spiegeln sich die Kulturkämpfe dieser Zeit wider“, macht Shapiradeutlich. [ Zsuzsana Szilagyi]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2018)

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