Die Gräuel als Motor der Medizin

Jeder Soldat musste im Ersten Weltkrieg Verbandspäckchen mit sich führen, um damit erstversorgt zu werden. In der pathologisch-anatomischen Sammlung des (NHM) im Narrenturm wird dieses Original gezeigt.
Jeder Soldat musste im Ersten Weltkrieg Verbandspäckchen mit sich führen, um damit erstversorgt zu werden. In der pathologisch-anatomischen Sammlung des (NHM) im Narrenturm wird dieses Original gezeigt.(c) Wolfgang Reichmann/NHM
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Der Erste Weltkrieg brachte einen Entwicklungsschub.

Niemals zuvor war Krieg so brutal wie im Ersten Weltkrieg, niemals zuvor wurden so schreckliche Waffen eingesetzt, niemals zuvor derart viele Menschen getötet und verwundet. Die neuen Waffen – Maschinengewehre, Riesengeschütze und Giftgas – verursachten bis dahin ungeahnt-furchtbare Verletzungen. „Krieg – so traurig er ist – ist auch ein Schub für die Medizin“, sagt Karin Wiltschke-Schrotta, interimistische Leiterin der Anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien (NHM) und der pathologisch-anatomischen Sammlung im Narrenturm. In diesem – ein Rundbau auf dem Campus der Uni Wien aus dem Jahr 1784, der nun neu renoviert erstrahlt – widmen sich anlässlich der Sonderausstellung „Krieg. Auf den Spuren einer Evolution“ drei Räume der Medizin im Ersten Weltkrieg.

Prothesen und Epithesen

Zu sehen sind etwa Abgüsse und Originalpräparate der grausigen Verletzungen, mit denen die Ärzte seinerzeit konfrontiert waren. Einem, der sich tatkräftig engagiert hat, um den Verwundeten zu helfen, ist der zweite Raum gewidmet: Lorenz Böhler verbesserte als junger Arzt in einem Hilfslazarett die Methoden zur Behandlung von Knochenbrüchen. Seiner Arbeit ist es zu verdanken, dass vielen Verwundeten eine Amputation erspart geblieben ist.

Gezeigt wird überdies, dass im Ersten Weltkrieg die Basis für die plastische Chirurgie geschaffen wurde: Um den Überlebenden trotz entstellender Wunden eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen, wurden u. a. neue Methoden der Kieferchirurgie angewandt. Dabei wurde sogar Kopfhaut auf die Oberlippe transplantiert, damit die Betroffenen wieder einen Schnurrbart tragen konnten. Überdies wurden Prothesen weiterentwickelt – und auch Epithesen, mit denen Gesichtsverletzungen oder fehlende Augen kaschiert werden konnten. (ku)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2018)

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