Was Hänschen nicht lernt, macht Hans nicht mehr schlauer

Geistige Anstrengung hält fit und schützt? Stimmt nicht, zeigt nun eine große US-Studie. Mit 19 Jahren ist das kognitive Limit erreicht.

Lebenslang lernen!, predigt man uns seit Jahren. Nicht nur Berufstätigen, sondern auch Pensionisten. Wer sein Hirn anstrengt, bleibe geistig fit und könne damit Demenz vorbeugen: Das haben so viele Studien behauptet, dass es zum Allgemeingut wurde. Aber es ist leider falsch, zeigen nun US-Forscher. Was wir nicht bis zu einem Alter von 18 bis 19 Jahren gelernt und trainiert haben, beeinflusst unsere späteren geistigen Fähigkeiten kaum noch. Das hat ein Team um William Kremen von der University of California in San Diego in einer großen Studie herausgefunden (Pnas, 21. 1.).

Warum lagen seine Kollegen bisher fast alle falsch? Sie hatten weniger aussagekräftige Daten. Die Basis der neuen Studie sind IQ-Tests, die das US-Militär im Rahmen der Tauglichkeitsprüfung bei über 1000 jungen Männern im Alter von rund 20 Jahren durchgeführt hat, in der Vietnam-Krieg-Ära, von 1965 bis 1975. Genau denselben Test wiederholte man bei ihnen vier Jahrzehnte später, im Alter von 56 bis 66 Jahren. Getestet wurden ein summarischer IQ und sieben Fähigkeiten im Detail, wie abstraktes Denken, Gedächtnis, Sprachgewandtheit und räumliches Vorstellungsvermögen.

Auch die Uni hilft nicht weiter

Im Lauf der Jahrzehnte hatten sich die Lebenswege der einstigen Rekruten weit auseinanderentwickelt: Die einen bildeten sich fort, ob auf der Uni oder durch Kurse, die anderen nicht. Manche wurden Manager, manche Hilfsarbeiter. Die einen verbringen ihre Freizeit im Schachklub, die anderen im Baseballstadion. Wie beeinflusst das ihre geistigen Fähigkeiten von heute? Das Ergebnis ist eindeutig: Weiterbildung, Beruf und Freizeitbeschäftigung erklären jeweils weniger als ein Prozent der Varianz, also fast nichts. Der Teenager-IQ erklärt hingegen 40 Prozent der Varianz beim späteren IQ, und jeweils zehn Prozent bei den sieben Detailbereichen.

Entscheidend ist also, wie stark man sein Gehirn in jungen Jahren trainiert hat (und natürlich Faktoren wie die Gene, das Gewicht bei Geburt oder das Einkommen der Eltern – aber das entscheidet sich ja alles noch früher). Mit dem Ende der Teenagerjahre flacht die Kurve des geistigen Wachstums ab, die kognitiven Fähigkeiten erreichen ein Plateau. Die Uni hilft dann auch kaum noch weiter. Wieso aber kamen die bisherigen Studien mit weniger sauberen Daten fast alle zu einem anderen Ergebnis? Eine Korrelation lässt sich gar nicht leugnen: Wer sich auch in höherem Alter geistig fordert, ist schlauer. Nur läuft die Kausalität offenbar in die andere Richtung: Man trainiert seine geistigen Fähigkeiten deshalb stärker, weil man schon vorher intelligenter war – und folglich studiert, in einem anspruchsvollen Beruf arbeitet oder sich in der Freizeit mit Dingen beschäftigt, die viel Hirnschmalz erfordern.

Damit sinkt die Hoffnung, man könne Alzheimer und anderen altersbedingten geistigen Störungen durch Training vorbeugen. Wenn etwas helfe, dann nur sehr intensive Programme mit langer Laufzeit. Bereits im Vorjahr überraschte eine dänische Studie mit dem Fazit, dass sich Demenz anhand der Geistesgaben von 19- bis 30-Jährigen voraussagen lässt, aber Weiterbildung keinen eigenständigen Einfluss hat. Jetzt liefert die kalifornische Studie die große Erklärung dafür.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2019)

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