Biologie: Wer eine Oma hatte, hatte bessere Chancen

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Symbolbild. (c) imago/Photocase (sally2001 / Photocase)
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Warum leben Frauen länger? Und warum kommen sie in den Wechsel? Die Großmutter-Hypothese soll beides erklären. Neue Arbeiten aus Finnland und Kanada sprechen für sie, zeigen aber auch ihre Grenzen.

Warum leben in allen Ländern der Erde die Frauen länger als die Männer? Es liegt am Testosteron, das das Immunsystem drosselt, wäre eine Antwort, die uns aber nicht so recht zufriedenstellt. Das hätte die Evolution ja auch anders programmieren können.

Eine der liebenswertesten Hypothesen der Biologie offeriert eine tiefer greifende Antwort: die Großmutter-Hypothese. Sie soll eigentlich eine der vielen Besonderheiten der Menschen erklären: die Menopause. Es ist ungewöhnlich – und erklärungsbedürftig –, dass die weiblichen Angehörigen einer Art ihre Fruchtbarkeit bei einem bestimmten Alter völlig einbüßen, doch danach noch eine geraume Zeit leben. Außer beim Homo sapiens ist das noch bei Kurzflossen-Grindwalen und afrikanischen Elefanten der Fall.

Naiv darwinistisch betrachtet, müssten Frauen, die bis ans Lebensende fruchtbar sind, einen evolutionären Vorteil haben, einfach weil sie mehr Nachkommen bekommen und damit ihre Gene in der Population häufiger werden. Fortpflanzungserfolg nennt das die Biologie trocken. Doch diesen misst man besser an der Zahl der Enkel als an der Kinderzahl, und noch besser an der Schar der Urenkel, und so weiter. Wenn eine ältere Frau ihrer Tochter oder ihrem Sohn hilft, beim Aufziehen ihrer Enkel oder auch beim Besorgen der Nahrung, dann werden die Enkel eher überleben, besser leben, selbst mehr Kinder bekommen und so weiter. Das ist die Großmutter-Hypothese. Warum gilt für Großväter nicht dasselbe? Da sie– zumindest in der längsten Zeit der Menschengeschichte – sich nicht so intensiv um die Kinder und Enkel gekümmert haben.

Versorgerin versus Versorgungsfall

Zwei Arbeiten, beide in Current Biology (7. 2.) erschienen, bringen nun neue Evidenz für die Großmutter-Hypothese. Forscher um Simon Chapman (Turku, Finnland) werteten alte finnische Kirchenmatrikel aus, Daten aus einer vorindustriellen Zeit, in der sowohl die Geburtenzahlen als auch die Kindersterblichkeit noch viel höher waren als heute: Ein Drittel der Kinder erreichte das Alter von fünf Jahren nicht. Doch die Anwesenheit von Großmüttern mütterlicherseits erhöhte die Überlebenschance deutlich. Allerdings nur bis zu einem Alter der Großmutter von 75 Jahren. Danach war eine Frau damals wohl eher ein Versorgungsfall, als dass sie zur Versorgung beitragen konnte. Das fällt bei Großmüttern väterlicherseits in einer patrilokalen Kultur (in der die Familien im Haus des Vaters bleiben) noch mehr ins Gewicht; dass diese weniger zum Überleben der Enkel beitragen, erklären die Biologen mit dem alten Prinzip „Pater semper incertus“: Wer sich nicht sicher sei, dass das Kind oder das Enkelkind wirklich die eigenen Gene hat, investiere weniger in es. Festgestellt wurde hier ein sozusagen umgekehrter Großmutter-Effekt: Kinder, die mit Großmüttern väterlicherseits, die älter als 75 waren, unter einem Dach hausten, überlebten kürzer als der Durchschnitt. Wer in vergangener Zeit Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ gesehen hat, der hat dafür ein grusliges Beispiel im Kopf – allerdings mit einer Urgroßmutter.

Die zweite Arbeit belegt Naheliegendes: dass Großmütter ihren Kindern und Enkeln umso mehr Vorteile bringen, je näher zu diesen sie leben. Biologen um Patrick Bergeron (Sherbrooke, Kanada) haben Daten französischer Siedler in Kanada aus dem 17. und 18. Jahrhundert analysiert – und können diese Annahme bestätigen. Ehrlicherweise halten die Forscher fest: Ihre Studie spreche klar für eine starke Selektion in Richtung höherer Lebensdauer der Frauen. Warum diese aber die Reproduktion mit einem gewissen Alter einstellen, könne sie nicht wirklich erklären. Die Menopause bleibt ein Rätsel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2019)

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