Neue Technologien fordern demokratische Räume heraus

Die Sozialwissenschaftlerin Ingrid Metzler interessiert sich für den Umgang mit jenen nicht-invasiven pränatalen Tests (NIPT), die seit 2012 nach und nach in Europa auf den Markt geschwemmt werden.
Die Sozialwissenschaftlerin Ingrid Metzler interessiert sich für den Umgang mit jenen nicht-invasiven pränatalen Tests (NIPT), die seit 2012 nach und nach in Europa auf den Markt geschwemmt werden.(c) imago/Westend61 (Andrew Brookes)
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Ingrid Metzler analysiert nationale Debatten über Themen an der Schnittstelle von Genetik und Schwangerschaft. Sie stellt fest, dass Auseinandersetzungen über neue pränataldiagnostische Möglichkeiten zunehmend in kommerzielle und private Sphären gedrängt werden.

Während technologische Neuheiten auf dem Gebiet der Pränataldiagnostik in Deutschland meist sehr öffentlich und in den Feuilletons diskutiert werden, geschieht dies in Österreich selten. Hier debattiert man häufig verzögert oder „hinter verschlossenen Türen“. Die Fragen, die da wie dort behandelt werden, ähneln sich allerdings durchaus. Das hat Ingrid Metzler vom Institut für Wissenschafts- und Technologieforschung der Uni Wien herausgefunden. Seit zwei Jahren forscht sie in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt an der Schnittstelle von Biowissenschaften und Demokratie in Österreich, Deutschland und Italien.

Bemerkenswert sei, so die Sozialwissenschaftlerin, wie sich der Fokus der Debatten im Laufe der Zeit verlagere. „Am Anfang geht es meist, salopp gesagt, darum, ob eine bestimmte technologische Entwicklung gut oder böse ist. Die Diskussionen schwenken aber häufig rasch von der Bewertung von Technologien auf Diskussionen über das wünschenswerte Verhalten von Frauen.“ Die Positionen seien dementsprechend kontrovers.

Indirekter kirchlicher Einfluss

Akteure, die der katholischen Kirche nahestehen, verhindern bestimmte technologische Entwicklungen zwar nicht. Sie können aber dazu beitragen, dass diese bzw. die Diskussionen darüber in private Räume verlagert werden. Das geht Hand in Hand mit einer anderen Verschiebung: Die Forschung im Bereich der Pränataldiagnostik findet mittlerweile zu einem Großteil in kommerziellen Firmen und nicht etwa in öffentlichen Spitälern oder an Universitäten statt. Auch in politischen Räumen gibt es in Bezug auf die Ausgestaltung von Technologien Verschiebungen: „Zum Beispiel sind Entscheidungen in Gerichtshöfen in den letzten Jahrzehnten bedeutender geworden, während in Parlamenten weniger diskutiert wird.“

Metzler interessiert sich vor allem für den Umgang mit jenen pränatalen Tests, die seit 2012 nach und nach in Europa auf den Markt geschwemmt werden – ihr zufolge ein Symptom für eine postdemokratische Gesellschaft. Diese Tests, auch NIPT genannt, basieren auf der Untersuchung von zellfreier DNA des Fötus. Mithilfe von genomischen Verfahren und bioinformatischen Algorithmen können jene kurzen DNA-Fragmente, die von der Plazenta ins mütterliche Blut geschwemmt werden, u. a. Informationen über die Chromosomenanzahl geben. Sie gelten als höchst zuverlässig und nicht invasiv, sprich sie bergen anders als etwa die Fruchtwasserpunktion kein Fehlgeburtsrisiko. Die bekanntesten Chromosomenabweichungen stellen Trisomien dar.

Auch um die Unterschiede in den nationalen Debatten besser zu verstehen, analysierte Metzler diese systematisch und gleicht sie mit vorherrschenden Vorstellungen zur Vorsorge ab. „Es gibt in jedem Land bestimmte Imaginationen davon, wer für die Gestaltung von Leben verantwortlich ist und wer sich darum kümmern darf oder soll“, erklärt sie. In Deutschland etwa sind die Entscheidungen, die Frauen über Föten treffen können, eingeschränkter als in Österreich. Sie erhalten zum Beispiel keine Informationen über spät manifestierende, also erst im Erwachsenenalter auftretende Krankheiten.

„In Österreich ist die Schwangere im Vergleich mächtiger und trägt damit auch mehr Verantwortung.“ Das führt zu der paradoxen Situation, dass Frauen zwar Anspruch auf pränataldiagnostische Daten haben, es aber – wie etwa in Großbritannien oder den Niederlanden – keinen Anspruch auf Zugang zu neuen Technologien gibt. „Wenn eine Schwangere nicht invasive Tests zu den herkömmlichen Untersuchungen wie Ultraschall und Nackentransparenzmessung möchte, muss sie in eine private Praxis gehen.“ Dass Bürgerinnen Technologien primär als Konsumentinnen mitgestalten, sei eine Facette der Postdemokratie, resümiert Metzler.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2019)

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