Wie wir werden

Human foetus Ab Woche 13 – hier ist es später – saugen wir am Daumen, am rechten oder linken. Über die Händigkeit ist schon entschieden.the womb
Human foetus Ab Woche 13 – hier ist es später – saugen wir am Daumen, am rechten oder linken. Über die Händigkeit ist schon entschieden.the womb(c) picturedesk.com
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In neun Monaten entwickelt sich aus einer Zelle ein wohlgeordneter Körper, man darf es Wunder nennen. Ein Buch zeichnet es mit leichter Hand nach.

Am Beginn von Woche fünf haben Sie die Größe einer Erbse, Ihr kleiner Körper ist gekringelt, und Ihr Kopf ist über einen langen Schwanz gebeugt. Es ist unmöglich zu sehen, dass Sie ein menschliches Wesen werden. Bisher hat alles, was Ihre Zellen getan haben, ganz logisch ausgesehen. Aber warum bilden wir jetzt diesen total unnötigen Schwanz. Und warum Falten im Genick, die später verschwinden?“

Das fragt die schwedische Biologin Katharina Vestre, die ihre Leser im Buch „The Making of You“ zu einer Reise „von einer Zelle zum Menschen“ einlädt, sie fragt es auf halbem Weg des schmalen Bands, der mit dem Wettlauf der Spermien zur Eizelle anhebt. Dass es den gibt, weiß man noch gar nicht so lang: Aristoteles vermutete, dass Insekten aus Tau entstehen, Motten aus Wolle und Austern aus Schlamm, diese Idee der Zeugung aus der Um- bzw. Lebenswelt hielt sich bis ins 17. Jahrhundert, in dem der flämische Chemiker Jan Baptist van Helmont Rezepte präsentierte, etwa eines für das Machen von Mäusen: Man müsse nur ein schmutziges Kleidungsstück in einen Behälter voll Weizen legen.

Um diese Zeit herum kam allerdings eine neue Idee vom Werden aller Lebewesen: Sie seien zu Beginn Miniaturversionen ihrer späteren Gestalt. Das lockte Anton von Leeuwenhoek, einen Autodidakten, der den Bau von Mikroskopen vorantrieb und selbst darunterlegte, was immer er fand, Wassertropfen etwa: In ihnen sah er etwas wimmeln, was er „animalculces“ nannte, kleine Tierchen, später nannte man sie Bakterien. Ein Gewimmel sichtete er auch in einer Probe vom Sperma eines Kranken, diese animalculces sahen aus wie winzige Kaulquappen. Konnte es daran liegen, dass die Probe von einem Kranken stammte? 1677 berichtete Leeuwenhoek der Royal Society in London, er habe es nun auch mit dem Sperma eines Gesunden versucht, „sofort nach der Ejakulation, noch bevor sechs Pulsschläge vergangen waren“, und dieses Ejakulat sei „ganz natürlich, durch eheliche Aktivität“ auf den Weg gebracht worden, es kann nur seine eigene gewesen sein.

Wieder sah er die Kaulquappen, er suchte ihr Geheimnis in ihren Köpfen, fand aber keine Miniaturmenschen. Stattdessen sichtete 1869 der Schweizer Chemiker Friedrich Miescher etwas, in Eiter. Dort wollte er den Hauptbestandteil analysieren, die weißen Blutzellen, er fand zu seiner Überraschung nicht nur die erwarteten Proteine, sondern auch etwas, was er „Nukleine“ nannte, die bemerkte er später auch im Sperma und vermutete, dass sie einen chemischen Code zur Entwicklung von Embryos enthalten. Es dauerte bis 1953, bis dieser Code von Crick und Watson geknackt war: DNA.

Parasiten der Mütter? Mit der in den Köpfen machen sich die Spermien auf den Weg, zu Millionen, geleitet von der Wärme und dem Geruch der Eizelle, bald wimmeln die Schnellsten um sie herum und brechen mit Enzymen ihre Membran auf. Wieder dem Schnellsten gelingt es, dann härtet die Membran, im Inneren tun sich mütterliche und väterliche Chromosomen zusammen und beginnen das Werk. Die ersten fünf Tage driften die befruchteten Eizellen herum, dann haben sie sich so oft geteilt, dass ihnen die Vorräte ausgehen.

Also suchen sie neue Quellen, sie nisten sich ein in der Wand der Gebärmutter. Das klingt harmonisch, in Wahrheit wird die Schleimhaut aufgerissen, die Blutgefäße darin werden es auch, der Embryo nimmt sie mit dem Organ in Besitz, das vor der Geburt unser wichtigstes ist und mit ihr abgelegt wird: die Plazenta. Durch die hindurch wird von der Mutter ver- und entsorgt, durch sie hindurch wird auch kommuniziert, mit Botenstoffen, mit denen der Embryo unter anderem die Blutgefäße der Mutter offen hält und ihren Appetit fördert.

„Jetzt mögen Sie den Eindruck haben, dass wir kaum besser sind als grausame, gierige Parasiten, die eine Invasion in die Körper unserer unschuldigen Mütter unternehmen“, wendet sich Vestre wieder direkt an die Leser und berichtet zur Güte, dass Embryos auch anderes durch die Wand der Plazenta schicken: Stammzellen. Die helfen Herzen von werdenden Müttern, die gerade eine Attacke erlitten, zumindest ist das bei Mäusen so – bei denen man die Attacken in Experimenten ausgelöst hat –, viel spricht dafür, dass auch bei Menschen in der Not diese Hilfe kommt, uneigennützig ist sie natürlich nicht.

In dem Ton geht es bei Vestre dahin, unterhaltsam, leicht zu lesen, leicht zu unterschätzen auch: Es steckt alles drin in ganzen 135 Seiten, von der Entwicklung des Körpers über die seiner Organe, der inneren wie der der Sinne, und die des Skeletts – es besteht zunächst aus Knorpel – bis hin zur Steuerung des Ganzen durch Chemie und Physik: Da geht es um die zentralen Entwicklungsgene – die der Hox-Gruppe, von denen viele an Fruchtfliegen bemerkt wurden –, da geht es um die Platzierung der Organe im Körper – Strömungsphysik sorgt dafür, dass das Herz (meist) links sitzt –, da geht es um das erste Saugen am Daumen, bei dem, in Woche 13, schon über Rechts- oder Linkshändigkeit entschieden ist.

Und da geht es endlich um so wunderliche Dinge wie den Schwanz und die Nackenfalten in Woche fünf. Beide sind uraltes Erbe, das unserer Ahnen im Wasser, der Fische, beide werden später ab- bzw. umgebaut, eine der Falten zu den Ohren. Und Verhalten haben wir von Ahnen auch, eher unwillkommenes, das des Schluckaufs, bei dem erst viel Luft in die Lunge gesogen und die Verbindung dann abrupt geschlossen wird. Das tun Amphibien, die zugleich durch Kiemen und Lungen atmen können, wenn sie von Lungen auf Kiemen umstellen.

Ist das Wunder dann fast fertig, bereitet es sich auf die kommende Umgebung vor, in der es nicht mehr in Flüssigkeit lebt – Fruchtwasser, wir trinken und urinieren es früh –, sondern an der Luft. Nach der giert die Lunge bzw. der ganze Körper tut es, er braucht mehr Energie und will deshalb hinaus, durch den engen Geburtskanal mit seinen Wehen für Mutter und Kind: „Sie werden atmen“, schließt Vestre: „Und was geschieht dann? Das wissen Sie besser als ich.“

Katharina Vestre, „The Making of You“, Wellcome 2019, 10,99 £

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2019)

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