Was macht ein Kind an einem Vormittag im Kindergarten?

Welche Faktoren beeinflussen, wie sich ein Kind in der Kindergartengruppe verhält?
Welche Faktoren beeinflussen, wie sich ein Kind in der Kindergartengruppe verhält?REUTERS
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Forscher der Universität Innsbruck untersuchen im Detail, wie Kindergartenkinder miteinander umgehen, wie ihre Interaktion mit den Fachkräften ist und welche Angebote in den Einrichtungen für ein gutes Miteinander sorgen.

„Der Luis hat mich geschubst, das sag ich einem Erwachsenen!“ In so einem Satz, der wohl so ähnlich in jedem Kindergarten täglich zu hören ist, steckt viel Information über die Qualität der Beziehungen in einer Betreuungseinrichtung. Wenn Luis den anderen Buben, nennen wir ihn Paul, schubst, passiert zwischen den Kindern in diesem Moment eine konflikthafte Interaktion. Da Paul sich sofort an die pädagogische Fachkraft wendet, besteht zu ihr eine vertrauensvolle Beziehung. Wenn die Pädagogin aber zeitgleich ein anderes Kind scharf zurechtgewiesen hätte, dieses solle die Schere nicht offen liegen lassen, dann wäre diese Situation von Stress belastet.

Eine Studie der Uni Innsbruck will nun die Vielzahl an Interaktionen, die in einem Kindergarten stattfinden, genauer erfassen und herausfinden, von welchen Faktoren die Qualität der Beziehungen abhängt. Das Projekt „Interaktionsqualität von Kindern im Kindergarten“ wird bis 2020 vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert: In 90 Kindergärten in Tirol werden jeweils vier Kinder einen Vormittag lang beobachtet. Das heißt, es wurden 360 Kinder im Alter von drei Jahren für die Erhebung ausgewählt. „Wir schulen dazu studentische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die jeweils die Kindergärten besuchen, um die Beobachtung durchzuführen“, erklärt Wilfried Smidt vom Institut für psychosoziale Intervention und Kommunikationsforschung. Kinder, Pädagoginnen und Eltern sind von Beginn an informiert und nehmen freiwillig an der Studie teil.

Fokus auf einzelne Kinder

Die Beobachtungen werden unter anderem mit dem Verfahren InClass (Individualized Classroom Assessment Scoring System) durchgeführt, das in den USA entwickelt wurde und nun erstmals in Österreich für Kindergärten angewendet wird. Das Besondere an dieser Vorgehensweise ist, dass jedes Kind einzeln beobachtet wird. Die Forscher fokussieren pro Vormittag im 20-minütigen Wechsel auf jedes der vier Kinder und dokumentieren alle Interaktionsprozesse: Wie verhält es sich zu anderen Kindern, wie geht es mit den pädagogischen Fachkräften um, wie gehen diese mit dem Kind um, und wie beschäftigt sich das Kind mit den Materialien und der Ausstattung? Zudem wird notiert, in welche Aktivitäten das Kind eingebunden ist: zum Beispiel naturwissenschaftliche oder kreative Aufgaben, Rollenspiele oder sprachfördernde Angebote.

Bisherige Untersuchungen lieferten nur Durchschnittswerte ganzer Kindergartengruppen. Hier sollen die Beziehungen des einzelnen Kindes sichtbar werden – und das im Laufe der Zeit, über die Entwicklung vom ersten Kindergartenjahr bis zum zweiten, wenn das Kind mindestens vier Jahre alt ist.

In anonymisierter Form kann dann verglichen werden: Welche Faktoren beeinflussen, wie sich ein Kind in der Kindergartengruppe verhält? Denn die Forscher erheben sowohl, welche Möglichkeiten der Kindergarten bietet, als auch, aus welchen familiären Kontexten die Kinder stammen. Denn bisherige Studien zeigen, dass Kinder aus potenziell bildungsbenachteiligten Familien später Nachteile im weiteren Schulverlauf haben. Demnach könnten Pädagoginnen schon im Kindergarten sozioökonomische Benachteiligungen auszugleichen versuchen, um allen Kindern einen guten Start in die schulische Laufbahn zu ermöglichen. Die Längsschnittstudie kann mitunter aufzeigen, ob und wie die Herkunft der Kinder das Leben im Kindergarten beeinflusst. Und wie die Vielfalt der Angebote in der Einrichtung die Qualität der Beziehungen zwischen den Kindern und mit den Pädagogen formt.

Erste Erhebungsphase läuft

Wo herrscht Konfliktpotenzial? Welche emotionale Färbung haben die Interaktionen zwischen allen Beteiligten? Suchen die Kinder die Aufmerksamkeit der Fachkräfte, oder fragen sie eher kompetente Gleichaltrige um Hilfe? Das alles wird verglichen mit Daten zur Kindergarten- und Gruppengröße und den pädagogischen Konzepten der Trägerschaften. So kann auch auf Unterschiede zwischen konfessionellen und nicht konfessionellen Einrichtungen geachtet werden.„Wir sind in der ersten Erhebungsphase, die bis Juni läuft“, sagt Smidt. Dann folgen weitere Messzeitpunkte im Herbst 2019 und Frühjahr 2020, bevor mit Ergebnissen zu rechnen ist. Ziel der Studie sind Anhaltspunkte, wie man die Qualität der Interaktionen in Kindergärten verbessern kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2019)

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