Stadtluft machte krank

Ansteckung, Schmutz, Gewalt: Die neue Lebensform tat den Bewohnern einer der ersten urbanen Siedlungen gar nicht gut.

Es war eine der folgenschwersten Entwicklungen in der Geschichte der Menschheit: In der Jungsteinzeit, vor gut 10.000 Jahren, begannen bisherige Nomaden, das Jagen und Sammeln sein zu lassen und an festen Orten Ackerbau oder Viehzucht zu betreiben. Zuerst im Mittleren und Nahen Osten, wo bald auch die die ersten Städte entstanden. Wie Çatalhöyük in Anatolien: 1150 Jahre lang durchgehend bewohnt, zu den besten Zeiten von 8000 Menschen auf 13 Hektar – ein Paradies für Archäologen, die dort seit 60 Jahren graben. Und nunzum Schluss kommen (in Pnas, 17. 6.): Die neue Lebensform tat den ersten Stadtbewohnern gar nicht gut.

Das Team um Clark Spencer Larsen von der Ohio State University hat die Knochenreste der ersten Siedler mit denen späterer Generationen verglichen. Aus den kraftstrotzenden Jägern wurden kleinere, schwächere Städter. Sie litten vermehrt an Karies, weil sie zu viel weiches Brot und Brei aßen. An einem Drittel der Skelette lassen sich Infektionen nachweisen. Kein Wunder: Die urbanen Trendsetter lebten dicht an dicht. Neben ihre Häuser bauten sie Müllgruben, Latrinen und Gehege mit Schafen. Die Wohnungen hielten sie zwar frei von Abfall, aber an Wänden und Fußböden fand man beträchtliche Mengen tierischer und menschlicher Fäkalien. Bodenproben enthalten oft Eier von Parasiten. Trotz der mangelnden Hygiene stieg die Geburtenrate, wuchs die Kommune. Aber das brachte, zusammen mit einem immer trockeneren Klima, neue Probleme mit sich: Der Boden laugte aus und wurde knapp, die Bauern mussten immer weiter zu Feldern und Weiden marschieren. Die Konkurrenz um Ressourcen verursachte sozialen Stress, die Gewalt nahm zu.

Fiese Attacken mit Steinschleudern

Bei über einem Viertel von 93 untersuchten Schädeln hat man verheilte Brüche gefunden, verursacht von Lehmkügelchen. Die Angreifer schnalzten sie mit Steinschleudern, meist heimtückisch von hinten, auf den Kopf ihrer Opfer, Männer wie Frauen. Manche Aspekte des frühen Stadtlebens liegen freilich noch im Dunkeln. Die Toten bestattete man unter dem Haus, in dem sie gelebt hatten. Aber die Analyse der Knochen zeigt: Die Bewohner gehörten sehr oft nicht der gleichen Familie an. Wie das Zusammenleben in der türkischen Protostadt organisiert gewesen ist, bleibt vorerst ein Rätsel. (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2019)

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