Musikarchiv des Stephansdoms gerettet

Alle Noten des Musikarchivs wurden von Studierenden restauriert.
Alle Noten des Musikarchivs wurden von Studierenden restauriert.(c) ÖAW/Zilberberg
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Nach einem Wasserschaden waren Hunderte historische Notenblätter im Dommusikarchiv durchfeuchtet, verwaschen oder verschimmelt. Die zunächst verloren geglaubten Seiten konnten nun gesichert werden.

Schuld war ein Wasserhahn: Im Archivraum im vierten Stock des Curhauses, des „Pfarrhofs“ des Wiener Stephansdoms, tropfte er lange Zeit unbemerkt vor sich hin. Mehrere Zentimeter Wasser hatten sich bereits auf dem Boden des Raums gesammelt, in dem das historische Musikarchiv aufbewahrt wurde. Als der Schaden letztes Jahr entdeckt wurde, schien es schon zu spät: Die Werke waren verschimmelt, das Papier schlug Wellen, die Tinte war verwaschen. Die Pfarre und hinzugezogene Experten gingen von unrettbaren Beschädigungen der historischen, zum Teil wertvollen und einzigartigen Signaturen aus.

Diese Befürchtung hat sich nicht bestätigt: Unter Federführung der Musikwissenschaftlerin Elisabeth Theresia Hilscher vom Institut für Kunst- und Musikhistorische Forschungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und in Zusammenarbeit mit der Universität Wien und dem Domarchiv der Pfarre St. Stephan konnten sämtliche durchfeuchteten Signaturen gerettet werden.

Jahrhundertealte Preziosen

Nachdem das Notenmaterial vollständig getrocknet war, arbeiteten Studierende der Uni Wien im Rahmen einer Lehrveranstaltung zwei Semester lang in mühevoller Kleinarbeit an der Sanierung der historischen Quellen. Die Seiten wurden professionell gereinigt, fachlich begutachtet, dokumentiert und katalogisiert. Insgesamt 557 Signaturen mit Kompositionen in erster Linie für Chor und Orchester bzw. Orgel wurden so erhalten, eine Sammlung, die über drei Jahrhunderte der Musikgeschichte umfasst: von 1669 bis in die 1960er-Jahre.

Hauptsächlich handelt es sich dabei um Musik zur Liturgie am Stephansdom, vor allem zu Weihnachten, zur Fastenzeit, der Karwoche sowie Ostern und Pfingsten. Darunter fanden sich auch einige Preziosen: Neben Abschriften von Wolfgang Amadeus Mozart, Georg Reutters dem Jüngeren und Joseph Haydn sowie dessen Bruder Michael restaurierten die Studierenden auch Hymnare aus dem späten 17. und frühen 18. Jahrhundert. Auch zeitgenössische Stücke von Maximilian Stadler oder dem Domkapellmeister Johann Baptist Gänsbacher waren unter den Notenblättern.

Nicht alle Schäden, die bei der Rettungsaktion behoben worden seien, hätten von dem rezenten Wasserschaden gestammt, berichtet Hilscher. Auch das große Feuer des Stephansdoms in der Nacht vom 11. auf den 12. April 1945, bei dem Dachstuhl und Glockenturm vollständig ausbrannten, hätte Spuren hinterlassen. Bei der Restauration habe man auch viel über den historischen Kontext der Werke erfahren: „Die Geschichte und die Herkunft der Noten ist oft höchst spannend. Es finden sich in vielen Fällen Stempel anderer Kirchen und Musikvereinigungen darauf. Zum Teil wurden die Werke nur ein Mal gespielt und gesungen, die Noten sind aber dann im Stephansdom verblieben – warum, lässt sich heute nicht mehr genau rekonstruieren“, sagt Hilscher.

Das gerettete Musikarchiv enthalte in jedem Fall nicht nur musikhistorisch bedeutende, sondern auch wichtige alltagsgeschichtliche Zeugnisse. So gebe es neben Angaben zur Aufführungs- und Spielpraxis auf vielen Signaturen „eine wilde Mischung an Karikaturen, Rechenaufgaben und Witzen, die von Zeitgenossen – vor allem den Chorknaben – auf die Noten gekritzelt wurden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2019)

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