Ist Testosteron doch nicht an Mangel an Empathie schuld?

US-Forscher widersprechen der These vom „extrem männlichen Hirn“ von Autisten.

Autismus kommt bei Mannern häufiger vor als bei Frauen. Schuld an dieser Entwicklungsstörung sei eben das männliche Sexualhormon Testosteron, meinen manche Forscher, der britische Psychologe Simon Baron-Cohen erklärte gar das autistische Gehirn zum „extrem männlichen Gehirn“: Frauen seien im Allgemeinen mehr zur Empathie fähig, Männer zum Systematisieren, in diesem Sinn seien Autisten sozusagen besonders männlich. Gilt also: Mehr Testosteron, weniger Empathie? Am deutlichsten dafür sprach eine Studie im Jahr 2011, allerdings an einem Sample von nur 16 Frauen: Nachdem man diesen Testosteron verabreicht hatte, konnten sie tatsächlich schlechter Emotionen aus den Augenpartien von Mitmenschen lesen.

Forscher um Gideon Nave (University of Pennsylvania) haben diese These nun an über 600 Männern geprüft. Ohne positives Ergebnis, wie sie in Proceedings of the Royal Society B (3. 9.) berichten. Ein mittels Gel erhöhter Testosteronspiegel veränderte die Fähigkeit nicht, Gefühlszustände von Personen aus deren Gesichtern zu lesen. Gemessen wurde auch das Längenverhältnis zwischen Ring- und Zeigefinger, dieses zeigt laut manchen Forschern die Menge von Testosteron an, der ein Mann im Mutterleib ausgesetzt war. Auch hier fand sich keine Korrelation zum Einfühlungsvermögen.

Dieses Ergebnis schließe nicht aus, dass Testosteron einen Einfluss ausübe, sagt Nave, der Zusammenhang sei aber gewiss nicht so simpel. Überhaupt sei die Theorie des extrem männlichen Hirns zur Erklärung des Autismus nicht wirklich gut mit Fakten untermauert. (tk)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2019)

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