Sprachen im Geheimen

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Jede Sprache hat ihre Funktion: Im Gegensatz zu Fachsprachen, die nach Klarheit streben, dienen Arkansprachen dazu, Wissen, Symbole und Rituale zu verschlüsseln, um Nichteingeweihte sprachlich auszuschließen.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Basiert die französische Revolution auf der Verschwörung eines Geheimbundes? Lenkt dieser die Geschicke der Welt gar bis heute? Viele Legenden ranken sich um 1789, das Jahr des Ausbruchs der Französischen Revolution. Von den Einflüssen dieser Zeit – voller Chaos und Wirrwarr – blieben auch viele Geheimbünde wie der der Freimaurer nicht verschont, in dem sich entgegengesetzte Meinungen und Feindeshaltungen wiederfanden und der so unterschiedliche Mitglieder wie Montesquieu, Didérot, Benjamin Franklin oder Voltaire, aber eben auch Danton und Robespierre umfasste.

1787 trafen sich die diversen Geheimbünde zum Kongress der Philalethen, um endlich zum Kern der Freimaurerei vorzustoßen und Ordnung einkehren zu lassen. Das Ergebnis war ein Desaster. Obwohl eine Einigung ausblieb, wurde seitens der deutschen Illuminaten von Johann Joachim Christoph Bode der Versuch unternommen, den Konvent im aufklärerisch-reformischen Sinne zu beeinflussen. Bode, der über hervorragende Kontakte von Weimar bis Paris verfügte, gelang es schließlich, einflussreiche französische Staatsmänner und Freimaurer als Mitglieder des Illuminatenbundes zu gewinnen.


Geheimbünde. Diese Doppelmitgliedschaft aus deutschen Illuminaten und französischen Freimaurern höchster Kreise sollte antifreimaurerischen Kräften zu jener Mythenbildung dienen, dass die Französische Revolution als ein von langer Hand der Freimaurer, Illuminaten und Jakobiner geplantes Unternehmen gewesen sei.

„Das stimmt so natürlich nicht“, erklärt Christian Braun, Linguistikforscher am Institut für Germanistik der Universität Graz: „Auf beiden Seiten der Guillotine fanden sich Freimaurer“. Bis heute ist die Faszination rund um das „Geheimnis Geheimbund“ ungebrochen. Den Freimaurern wurden Attentate, wirtschaftliche Katastrophen und der Ausbruch von Kriegen angehängt. Diese Ängste nähren sich zum einen aus den Zielen und Beweggründen der Freimaurer. „Die weltweite brüderlich-freundschaftliche Männervereinigung strebt gemeinsam nach menschlichen Werten und einer positiven, freien Selbstentwicklung ihrer Mitglieder“, formuliert es Marco Carini in seinem Buch „Freimaurer – Die geheime Gesellschaft.“ Diese offene, liberale und fortschrittliche Geisteshaltung – heute ein Grundstein moderner Demokratie – stieß zu Zeiten des Absolutismus oder in Diktaturen auf heftigen Widerstand. Vorurteile pflanzten sich in den Köpfen der Menschen fort und wurden bis heute fälschlich weitertradiert.

Zum anderen nährt sich diese Faszination aus dem Arkanen, dem Unbekannten. Damit sind die geheimen Symbole, verborgenen Riten und mystischen Rituale gemeint, derer sich Geheimbünde in der Regel bedienen. Und vor allem die Arkansprachen, die zurzeit verstärkt in den Blickpunkt der Forschung rücken.

Die Arkansprachen – Forschungsgegenstand der Soziolinguistik – bilden einen kleinen Ast des Bereiches der Sondersprachen. Diese seien im Gegensatz zu den nach Klarheit in der Kommunikation strebenden Fachsprachen primär gruppenkonstitutiv, da sie sich nach außen hin bewusst abgrenzten, erläutert der Forscher.

„Geheimsprachen dienen zur Tradierung eines bestimmten ethisch-moralischen Weltbildes bzw. bestimmter Erkenntnisse, sei es nun Wissen oder Weisheit“, sagt Braun. Das passiert natürlich in sprachlichen Formen – meist im gemeinsamen Ritual kommuniziert–, die sich Außenstehenden nicht erschließen. Als Beispiel kann die berühmte Metapher der „Arbeit am rauen Stein“ dienen, die als Arbeit an sich selbst zu verstehen ist: Man klopft die Ecken der Unvollkommenheit ab, um ein besserer Mensch zu werden.

Ein anderes Beispiel ist das des rechten Winkels, ein Symbol für die Rechtmäßigkeit und Tugend des Freimaurers. „Viele dieser Begriffe haben sich aus der Lebenswelt des Maurerhandwerks abgeleitet“, erklärt Braun, „und spiegeln andererseits auch stark die Gedanken und Denkweisen vieler Mitglieder wider, was diesen Bereich so faszinierend macht.“ Es ändert sich innerhalb der Gruppe gewissermaßen die Bedeutung der Wörter im Gebrauch. So verweist das Lexem „Stein“ nicht mehr auf einen Stein, sondern auf den unvollkommenen Menschen.


Verschlossene Bereiche. „Dies führt dazu, dass Nichtmitglieder sprachlich ausgeschlossen werden, die Kraft der Symbolik ermöglicht aber auch den Mitgliedern selbst, in Wissensbereiche vorzudringen – oder zumindest eine Art von Ahnung zu erlangen –, die ihnen sonst verschlossen geblieben wäre“, so Braun. Letzterem Bereich ist eine Tagung vom 17. bis 20. November an der Uni Graz gewidmet, bei der sich Forscherinnen und Forscher mit Phänomenen arkanisierender Sprachverwendungen auseinandersetzen. Das Unbegreifliche greifbar machen – wer könnte da schon widerstehen?

LEXIKON

Das Arkane
(vom lateinischen arcanum – Geheimnis) bezeichnet den Grundsatz, Kultbräuche und Rituale nur einem Kreis von Eingeweihten zugänglich zu
machen und vor
der Öffentlichkeit geheim zu halten (Wikipedia).

Arkansprachen
sind ein Mittel dafür – und wirken zudem als „Kitt“, der Geheimgesellschaften zusammenhält.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2010)

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