Sprache ändert sich

Sprache aendert sich
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Die deutsche Sprache ist kein fixes und einheitliches System zur Kommunikation. Selbst die Grammatik ist Veränderungen unterworfen – nicht zuletzt durch die Neuen Medien.

Die Sprachgeschichte ist einmal als schwärzeste aller schwarzen Künste bezeichnet worden: Als einziges Mittel, die Geister verschwundener Jahrhunderte zu beschwören, vermag sie am ehesten, das Geheimnis Mensch zu lüften. Was dunkel klingt, erhellt sich spätestens dann, wenn die Sprache explizit zur Sprache kommt: Unser Handeln und das resultierende kulturelle und gesellschaftliche Miteinander sind sprachbasiert. „Wenn wir also unser gesellschaftliches Leben besser verstehen wollen, müssen wir auch die Funktionen und Wirkungen von Sprache verstehen lernen“, erklärt Arne Ziegler, Professor am Institut für Germanistik der Karl-Franzens-Universität Graz.

Dazu wählt der Wissenschaftler mehrere Zugänge zum „Gebäude“ der Sprache. Die eine Tür, nämlich die Sprachgeschichte, führt zu „sprach-inhärenten“ Betrachtungen, indem die Entwicklung der Sprache vom Althochdeutschen bis in die Gegenwartssprache verfolgt wird. Die andere Tür ist die sogenannte Varietätenlinguistik – sie eröffnet Einsichten, wie sich Sprache und außersprachliche Bedingungen der Gesellschaft, Regionen und Kommunikationssituationen zueinander verhalten.

Das Fundament bilden dabei die grammatikformenden Elemente der Sprache. Denn die sprachlichen Einheiten interagieren miteinander und sind hierarchisch strukturiert: vom Laut zum Wort zum Satz zum Text.
Wenn man die volle Kontrolle über sprachliche Tätigkeit haben will, dann setzt das daher auch das Verstehen über Funktionen niedrigerer sprachlicher Ebenen voraus. „Jedes Reden über Funktionen und Wirkungen von Sprache, ohne dabei grammatische Strukturen und Ausdrucksmittel mit einzubeziehen, ist aus linguistischer Sicht zutiefst unseriös“, hält Ziegler fest. Der Grund: „Jene Strukturen erfüllen letztlich Funktionen und erzielen Wirkungen.“

Stiefkind Grammatik.
Die Grammatik verliert heutzutage an Schulen, in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und oftmals auch in der Germanistik selbst zunehmend an Bedeutung. Ja noch mehr: Sie muss sich zuweilen für ihre bloße Existenz rechtfertigen. Ein Hauptgrund dafür mag ihr schlechter Ruf und eine einseitige Sicht auf Grammatik sein. Anstatt eines Gebäudes, das zu Erkundungen einlädt, haben Schüler oftmals eine feindliche Mauer vor sich.

Im Unterricht soll „der mündliche und schriftliche Sprachgebrauch frei von groben Verstößen gegen die Sprach- und Schreibrichtigkeit sein“. So steht es trocken im AHS-Lehrplan. Grammatikunterricht trennt demnach zwischen Falsch und Richtig und wird in der Folge als eine Art Normenkontrollinstanz wahrgenommen. Nun: Die Sprache ist aber kein starres Gebäude. Was konservative Sprachkritiker als Sprachverfall abtun, ist aus wissenschaftlicher Perspektive nichts anderes als Sprachwandel und Variation: „Der Fehler von gestern ist die Norm von morgen“, sieht auch Richard Schrodt vom Institut für Germanistik in Wien. „Die Standardsprache erneuert sich aus der Umgangssprache, die der Duden endlich akzeptieren müsse“, so Schrodt. Der Forscher ist übrigens Mitglied im Rat für deutsche Rechtschreibung. Die Sprachwissenschaften sehen sich heutzutage mit medialen, interdisziplinären und kulturwissenschaftlichen Einflüssen konfrontiert. Es ist daher umso wichtiger geworden, einerseits Pforten in Richtung aktueller Gegenwartssprache zu öffnen und andererseits, dem „eigenen Forschungsgegenstand treu zu bleiben“, so die Sprachwissenschaftler.

Schulisch gesehen hieße das zum Beispiel, den Kindern „echte Sprache“ mitsamt ihren Normverstößen und „Fehlern“ im Unterricht anzubieten – und nicht mehr Musterbeispiele nach allen Regeln der Kunst durchzukauen. Die Lust der Schüler an der Grammatik und an der Sprachgeschichte könnte dadurch neu geweckt werden, und mit dieser Freude könnten auch Geschichtsbewusstsein sowie reflexives und kritisches Denken über sprachliche Prozesse vermittelt werden.

Variantengrammatik. Für Universitäten würde das bedeuten, dass nicht mehr das Beseitigen schulischer Defizite der Grammatik im Zentrum stünde, sondern dass viel mehr zu prozess- und problemorientiertem Denken angeregt werden sollte, um so zu einer vertieften Reflexionsfähigkeit beizutragen. Den zukünftigen Lehrern käme das sicher zu Gute.

Eine erfolgreiche Fortbildung für Lehrer, öffentliche Vorlesungen sowie Kooperationen mit der Industrie zeigen dabei, dass die Abteilung für „Deutsche Sprache – Historische Sprachwissenschaft und Varietätenlinguistik“ der Grazer Germanistik ihre Forschungen nicht im Elfenbeinturm verortet wissen will, sondern den Austausch mit der Öffentlichkeit sucht. Diese Aktivitäten bezeugten in Zieglers Augen die Vielseitigkeit der Grazer Germanistik und „unseren ganzheitlichen Forschungsansatz“.
In einem Projekt, das alle drei deutschsprachigen Länder umfasst, werden zum Beispiel standardsprachliche Varianten des Deutschen in regionalen Zeitungen erfasst und in einem Handbuch als Basis für weitere grammatische Untersuchungen veröffentlicht. Dieses soll für interessierte Laien zugänglich sein, soll allgemein verständlich sein und Lehrern, Lektoren und Übersetzern über die Normgemäßheit grammatischer Varianten Auskunft geben.

Mit anderen Worten: Die geschriebene Standardsprache ist in den drei Staaten Österreich, Deutschland und der Schweiz zwar sehr ähnlich, sie kann je nach Region aber dennoch stark variieren. „Diese Varianten unterscheiden sich zum Teil in der Wortstrukturierung, Phrasenstruktur und der Rektion (abhängige Elemente, Anm.). Einige Beispiele: Störefried/Störenfried; die Parks/die Pärke/die Parke oder Das Wetter ändert/Das Wetter ändert sich. Das im deutschen Sprachraum einzigartige Kompendium soll den Nutzern erlauben, sich im jeweiligen Standard unauffällig zu bewegen.

Neue Medien. Ein weiterer Schwerpunkt behandelt Neue Medien. Ziegler: „Sie bieten uns die Chance, aktuelle Formen des Sprachwandels ,in progress‘ zu beobachten.“ Der Sprachgebrauch in Neuen Medien wie etwa bei Facebook oder Twitter findet in zeitgenössischen Grammatiken kaum Eingang. Laut Ziegler ist das eine „defizitäre Situation“, da das Schreiben von Grammatiken die aktuelle Sprachwirklichkeit abzubilden habe. Neue sprachliche Muster, Routinen und Formen bilden sich heraus oder werden in veränderter kommunikativer Funktion verwendet.

Man sollte genau wissen, was man wie in Neuen Medien von sich preisgibt. Denn wenn etwas seit jeher gleich geblieben ist, dann die Tatsache, dass Mensch wie auch Sprache stets im Wandel sind: Sprache ist geordnete Vielfalt.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2010)

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