Nobelpreis: Weltall expandiert immer schneller

(c) EPA (ROY KALTSCHMIDT / LAWRENCE BERKE)
  • Drucken

Ein Australier und zwei US-Amerikaner zogen weitreichende Schlüsse aus der Beobachtung von Supernovae: Die Expansion des Universums wird beschleunigt, getrieben von Dunkler Energie.

Der heurige Nobelpreis für Physik belohnt eine Entdeckung, die unser Weltbild dramatisch verändert hat. Zwar wurde schon in den Zwanzigerjahren entdeckt, dass sich das Universum seit einem Urknall fortwährend ausdehnt. Doch erst seit circa 13 Jahren ist das Weltbild der Physik noch viel dynamischer – und fatalistischer: Das Universum expandiert nicht nur, es expandiert immer schneller. Alles entfernt sich immer schneller voneinander. Wir werden immer einsamer.

Die drei neuen Nobelpreisträger haben diese beschleunigte Expansion durch „Beobachtungen weit entfernter Supernovae“ entdeckt, heißt es in der Begründung der Royal Swedish Academy of Sciences. Eine Supernova entsteht, wenn ein großer Stern am Ende seiner Lebenszeit explodiert. Dabei nimmt seine Leuchtkraft millionen- bis milliardenfach zu, solch eine Supernova kann so hell werden wie eine ganze Galaxie. Eine Himmelserscheinung, die sich der Beobachtung geradezu aufdrängt. Ein Typ von Supernova (Ia) hat dabei laut Astrophysikern stets die gleiche absolute Helligkeit. Eine „Standardkerze“ nennt man das. Unter dieser Voraussetzung kann man aus der relativen Helligkeit einer Supernova ihre Entfernung berechnen – und damit, wann sie passiert ist. Wenn eine Supernova z.B. eine Milliarde Lichtjahre weit weg ist, dann ist sie vor einer Milliarde Jahren explodiert. So lange hat ihr Licht bis zu uns gebraucht.

Zweitens kann man die Rotverschiebung einer Supernova messen: Wenn sich eine Lichtquelle von uns entfernt, dann kommt ihr Licht mit niedrigeren (in Richtung Rot verschobenen) Frequenzen bei uns an. Diese Rotverschiebung ist proportional zur Geschwindigkeit, mit der sich die Lichtquelle von uns entfernt – also im Wesentlichen zur Expansion des Universums.

1988 startete Saul Perlmutter das „Supernova Cosmology Project“. Seine Kollegen Brian Schmidt und Adam Riess und er erwarteten eigentlich, dass ihre Messungen ergeben würden, dass sich Objekte immer langsamer von uns entfernen, je weiter weg sie sind. Denn damals glaubten die meisten Kosmologen, dass das Universum immer langsamer expandiert. Entsprechend war im Titel einer Arbeit aus dem Jahr 1995 noch von „implications for measuring the cosmological deceleration“ (!) die Rede.

„Zu verrückt, um wahr zu sein“

Doch dann häuften sich Daten, die eine völlig unerwartete Interpretation nahelegten: Je älter Supernovae sind, umso langsamer sind (respektive: waren) sie unterwegs. Also: Das Weltall dehnt sich heute schneller aus als früher. „Es schien zu verrückt, um wahr zu sein“, sagt Schmidt heute.

Sofort erhob sich die Frage: Welche Kraft kann denn diese Beschleunigung antreiben? Sie muss gegen die Schwerkraft wirken, die ja immer anziehend wirkt und die Expansion nur bremsen kann. Heute sprechen die meisten Kosmologen von einer „Dunklen Energie“, die die Expansion beschleunigt. 73 Prozent (!) der Energie des Universums (inklusive der Materie, die ja, wie man seit Einstein weiß, der Energie äquivalent ist) soll diese Dunkle Energie ausmachen, über die man freilich so gut wie nichts weiß. Nur dass sie gleichmäßig verteilt sein sollte. Sie ist eine Energie des Vakuums – zu dumm nur, dass keiner sie aus der Quantenfeldtheorie des Vakuums richtig berechnen kann.

Ironischerweise geht das Konzept einer solchen Energie auch auf Einstein zurück: Er glaubte einst – wie so ziemlich alle – an ein statisches Universum. Leider ergaben die Lösungen seiner Allgemeinen Relativitätstheorie kein solches. So führte er eine „kosmologische Konstante“ ein, die gegen die Schwerkraft wirken sollte. Als dann die Expansion des Universums entdeckt wurde, nahm Einstein die Konstante als „größte Eselei meines Lebens“ zurück. Heute ist diese Eselei – in anderer Form – rehabilitiert.

Wie wird das alles enden?

So ist unser Weltbild rätselhafter denn je. 73 Prozent soll die Dunkle Energie stellen, dazu kommt mit 23 Prozent die Dunkle Materie, über die man auch (noch) nichts Genaueres weiß. Bleiben vier Prozent für die „gewöhnliche Materie“, die wir sehen können, aus der Sterne und wir selbst bestehen.

Wie soll das alles weitergehen? Wenn die Expansion tatsächlich immer schneller wird, werden die Objekte im Universum immer einsamer. Und es wird immer kälter. „Was wird das endgültige Schicksal des Universums sein?“, fragt die Presseaussendung des Nobelpreiskomitees: „Wahrscheinlich wird es in Eis enden.“ (Wobei Eis natürlich nur metaphorisch gemeint ist.)

Dabei ist noch einiges unklar. Etwa der Zusammenhang zwischen der Inflation – einer von vielen Physikern angenommenen Phase der rapiden Expansion gleich nach dem Urknall – und der offenbar bis heute anhaltenden Beschleunigung. Wenn das (ebenfalls nur postulierte) Feld, das die Inflation getrieben hat, seine Wirkung wieder eingestellt hat, wer sagt, dass die Dunkle Energie von (ewiger) Dauer sein muss?

Auch Adam Riess selbst gab sich kurz nach der Benachrichtigung skeptisch, was Prognosen eines eisigen Endes anbelangt: „In Wahrheit ist alles offen. Das Universum könnte immer noch kollabieren.“

Alle in den USA geboren: Die drei neuen Physik-Nobelpreisträger

Saul Perlmutter, geboren 1959 in Champaign-Urbana, Illinois, USA, studierte Physik in Harvard, promovierte in Berkeley über Supernovae. Er bekommt die Hälfte des Preises. [AP]

Adam Riess, geboren 1969 in Washington D.C., studierte Astronomie am M.I.T., promovierte
in Harvard über
Supernovae. An ihn geht ein Viertel des Preises. [EPA]

Brian Schmidt, geb. 1967 in Missoula, Montana, USA, promovierte in Harvard über Supernovae. Seit 1995 lebt und arbeitet er in Australien. Ein Viertel des Preises geht an ihn. [Reuters]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.