Das Zentriol: Winzige Struktur, große Wirkung

Zentriol Winzige Struktur grosse
Zentriol Winzige Struktur grosse(c) FWF - Der Wissenschaftsfonds/APA (Michele Pauty)
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Sieben exzellente junge Forscher wurden mit dem "START"-Preis ausgezeichnet. Einer davon sprach mit der "Presse am Sonntag" über die Faszination von kleinen Zellstrukturen.

Ihr habt den Weg vom Wurm zum Menschen gemacht. Und vieles in Euch ist noch Wurm.“ Mit diesem Zitat von Friedrich Nietzsche erklärt Alexander Dammermann, warum er an kleinen durchsichtigen Fadenwürmern forscht. Denn viele Zellvorgänge in Wurm und Mensch sind gleich. Will man verstehen, wie hochkomplexe Vorgänge im Menschen ablaufen, nimmt man vorzugsweise ein einfacheres Modell, um grundlegende Mechanismen zu erforschen. „Nietzsche hatte nicht ganz recht: Denn der Mensch stammt nicht vom Wurm ab, sondern Mensch und Wurm hatten die gleichen Vorfahren. Aber womit Nietzsche recht hatte, ist, dass im Menschen Wurm ist und im Wurm Mensch. Denn die Proteine, an denen ich forsche, sind in beiden Organismen dieselben“, erklärt Dammermann.

Konkret handelt es sich bei dem Objekt seiner Forscherbegierde um winzige Strukturen innerhalb von menschlichen und tierischen Zellen: Zentriolen. Im Mikroskop sind diese Anordnungen hübsch anzusehen, sie sind zylindrisch und sehen wie runde Muster mit symmetrischen Formationen aus. „Man kann sich ein Zentriol vorstellen wie eine Coladose, deren Größe nur ein Millionstel der echten Dose, also 100 bis 500 Nanometer hat“, so Dammermann: „Mich fasziniert, dass dieses winzige Objekt so viel Verschiedenes machen kann.“

Einerseits sind Zentriolen der Ursprung und der Mittelpunkt des Zentralkörpers (Zentrosom). Das ist jene Struktur, die bei der Zellteilung der Fixpunkt des Spindelapparats ist: Es ist quasi die Hand, die alle Lassos hält, wobei sich jedes Lasso einen Chromosomenteil schnappt und in eine der beiden Tochterzellen zieht, auf dass jede Tochterzelle die gleichen Chromosomen besitzt wie die Mutterzelle vor der Teilung.


Eizelle und Spermium.
Andererseits bilden Zentriolen auch Zilien. Das sind bewegliche Fortsätze von Zellen, die im Zellinneren verankert sind und aus der Zelle hinauswachsen. „Etwa 50 Prozent aller Zellen des Menschen besitzen Zilien“, sagt Dammermann. Am bekanntesten dürfte wohl das Zilium sein, das den Schwanz von Spermazellen bildet. Doch auch die Eizelle lässt sich von Zilien transportieren, nämlich jenen in der Wand des Eileiters. Und ohne Zilien würden wir sowieso ersticken, denn die Flimmerhärchen der Lunge, die den Schleim abtransportieren, sind ebenfalls Zilien.

Im Wurm sind Zilien in circa 50 der 300 Nervenzellen enthalten und bilden dort Teil seines Sinnessystems: „Ohne Zilien bekommt der Wurm nichts von seiner Umwelt mit, sie helfen ihm, Nahrung zu finden, und er spürt dadurch Berührung und Luftfeuchte.“

Für ihre Stabilität, Form und Beweglichkeit sind – wie generell im Zellgerüst – Mikrotubuli verantwortlich, also röhrenförmige Strukturen des Zellskeletts. Zentriolen sind aus Mikrotubuli aufgebaut, egal, welche Funktion sie haben. Doch bis vor Kurzem wusste niemand, wie Zentriolen entstehen. Erste Einblicke in die Bildung der Zentriolen, welche Moleküle und Signalwege da im Spiel sind, fand man vor etwa zehn Jahren im Fadenwurm Caenorhabditis elegans. Solche Tierchen kommen in jedem Komposthaufen vor, Wissenschaftler können diese Würmer mit unterschiedlichen Mutationen und Formen im Katalog bestellen. Später konnten die Belege aus dem Wurm im Menschen nachgewiesen werden. Inzwischen kennt man eine Reihe von Krankheiten, die durch eine Fehlfunktion der Zentriolen entstehen. „Wenn zentrale Proteine der Zentriolen fehlerhaft sind, entsteht z.B. Mikrozephalie, eine Verkleinerung des Kopfes und des Gehirns“, so Dammermann. Interessant ist daran, dass es dieselben Proteine sind, die uns von anderen Primaten unterscheiden. Das heißt, dass die Zentriol-Proteine in der Evolution möglicherweise entscheidend dafür waren, dass der Mensch ein größeres Gehirn entwickeln konnte.

Erkrankungen. Weiters gibt es viele Erbkrankheiten, die als „Ziliopathien“ zusammengefasst werden: Sind die Zilien in der Entwicklung des Embryos gestört, können sich Organe nicht richtig bilden. „Denn viele Signalwege während der Entwicklung werden über Zilien gesteuert.“ So kommen etwa Babys mit zu vielen Fingern auf die Welt, wenn ein Defekt der Zilien vorlag. Auch Nierenschäden und Netzhauterkrankungen können Folgen von Zilienschäden sein.

„Ziliopathien treten nicht spontan auf, sondern sind angeboren. Aber wenn sich Proteine des Zentrosoms verändern, können spontan Tumore entstehen“, so Dammermann. Denn ein schadhaftes Zentrosom führt zu einer fehlerhaften Zellteilung. „Wenn bei der Teilung einer Stammzelle Zellsignale falsch verteilt werden, wachsen beide Tochterzellen ewig weiter, anstatt dass sich eine zur Gewebezelle differenziert. Dann wächst ein Tumor.“ Dammermann forscht zwar nicht als Onkologe, doch die Ergebnisse, die er im Fadenwurm zur Entstehung der Zentriolen finden will, könnten zur Aufklärung der Fehlentwicklungen in Mensch und Tier beitragen.

In dieser Woche wurde Dammermann einer von sieben „START“-Preisen überreicht, das ist die höchste Förderung für wissenschaftlichen Nachwuchs in Österreich (maximal 1,2 Mio. Euro für sechs Jahre). Seine Studienobjekte, die Würmer, sind billig zu bekommen, das teure Equipment steht bereits in den Max-F.-Perutz-Laboratorien im Vienna Biocenter Campus, wo er seit zwei Jahren forscht. „Aber mit den Geldern kann ich Studenten und Dissertanten langfristig sichere Forschungsplätze zusagen“, sagt Dammermann.

Insgesamt wurden im Rahmen der START- und Wittgensteinpreise rund 11,5 Millionen Euro für neun Forscher (sieben Männer, zwei Frauen) vergeben. Die START-Preise gehen an konkrete Forschungsprojekte von Nachwuchsforschern (siehe Kurzporträts oben), der Wittgensteinpreis wird an Personen verliehen, die von Universitäten oder Forschungsinstitutionen (oft ohne deren Wissen) nominiert werden können. Mit bis zu 1,5 Millionen Euro ist der Preis weit höher dotiert als der Nobelpreis: Heuer wurden Thomas Henzinger, Präsident des IST Austria in Maria Gugging, der als Informatiker an komplexen Systemen forscht, sowie Niyazi Serdar Sariçiftçi ausgezeichnet, der an der Uni Linz an organischen Solarzellen forscht und bereits im Jahr 2009 „Österreicher des Jahres“ in der Kategorie „Forschung“ war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2012)

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