Versteckte Emissionen

Simone Gingrich arbeitet an der Schnittstelle von Nachhaltigkeitsforschung und Umweltgeschichte.
Simone Gingrich arbeitet an der Schnittstelle von Nachhaltigkeitsforschung und Umweltgeschichte.(c) Akos Burg
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Mit einem ERC-Starting-Grant erforscht die Sozialökologin Simone Gingrich, welche Waldaufforstungsmethoden tatsächlich zum Klimaschutz beitragen.

Mehr Wald ist nicht automatisch besser für das Klima.“ Im ersten Moment verblüfft Simone Gingrichs These, schließlich weiß man, dass Bäume den Klimakiller CO2 binden. „Doch Wiederbewaldung passiert erst, wenn sich Länder industrialisiert haben und damit zunehmend andere Ressourcen nutzen als Wald“, erklärt die Sozialökologin. Vor der Aufforstung stünden also Entwicklungen, die den Klimawandel begünstigt haben. Rechne man das mit ein, sehe die Treibhausgasbilanz gleich weniger rosig aus. Gingrich möchte herausfinden, was unterm Strich „für den Klimaschutz übrig bleibt“ und welche Formen der Wiederbewaldung unter diesem Gesichtspunkt klimafreundlicher sind als andere. Für ihr im April begonnenes Projekt bekam sie einen hoch dotierten Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC). „So eine Anerkennung nach über zehn Jahren im akademischen Betrieb ist großartig“, freut sich die 37-Jährige.

Wandel verläuft langsam oder ruckartig

Seit 2005 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziale Ökologie, das im März dieses Jahres von der Universität Klagenfurt an die Wiener Boku übersiedelt ist. Hier hat sie auch vor acht Jahren promoviert, gerade verfasst sie ihre Habilitationsschrift. „Meine Forschung bewegt sich an der Grenze zwischen Sozialer Ökologie und Umweltgeschichte“, sagt die Wienerin. „Ich untersuche, wie sich die Nutzung von Land und Ressourcen über lange Zeiträume verändert und welche sozialen und kulturellen Prägungen hier eine Rolle spielen.“

Den gesellschaftlichen Aspekt und das Potenzial, das in dieser Gestaltbarkeit liege, findet sie spannend. „Ich habe festgestellt, dass das, was uns heute als selbstverständlich und schwer wandelbar erscheint, Teil eines historischen Prozesses ist. Dieser verläuft manchmal kontinuierlich, manchmal ruckartig.“

Wie groß hier die Unterschiede in den verschiedenen Weltregionen sind, ist ihr schon früh aufgefallen. „Mit meiner Familie bin ich als Kind und Jugendliche viel gereist, etwa nach Kanada, Mexiko oder Tibet“, erzählt sie. „Diese Eindrücke waren sicher maßgeblich für mein heutiges Interesse an Ressourcennutzungsmustern.“ Zunächst wollte sie ja Entwicklungshelferin werden. „Ich dachte, das Ökologiestudium würde mich auf diesen Beruf vorbereiten.“ Stattdessen drehten sich die ersten Vorlesungen um Biologie. „Ich hörte ,Wurzel, Stamm, Blatt‘ und war ratlos“, schmunzelt Gingrich. Sich damals an der Uni Wien durchs erste Semester Ökologie zu beißen habe sich allerdings gelohnt: „Im zweiten Studienabschnitt lernte ich Umweltökonomie, Umweltgeschichte und Soziale Ökologie kennen, das hat mich fasziniert.“

Für ihre Forschung erstellt Gingrich Zeitreihen von bis zu 200 Jahren und zieht dazu u. a. Archivquellen, statistische Jahrbücher aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, aber auch aktuelle Datenbanken, Material- und Energieflussanalysen sowie Treibhausgasbilanzen heran. „Dabei wird deutlich, zu welchen grundlegenden Verschiebungen in der Ressourcennutzung die Industrialisierung geführt hat“, sagt sie. Zwar habe man Nachhaltigkeitsprobleme wie die Nährstoffzufuhr landwirtschaftlich bewirtschafteter Böden oder die Lebensmittelversorgung lösen können, zugleich aber neue, noch größere verursacht. „Etwa den anthropogenen Klimawandel.“

Auf der detaillierten Beobachtung solcher Verschiebungen baue auch das neue Projekt auf, für das ihr Team nun Ent- und Wiederbewaldungsprozesse in Europa, Nordamerika und Südostasien vom 19. Jahrhundert bis heute unter die Lupe nimmt. Durch den weltweiten Vergleich aller politischen, ökonomischen und biophysischen Faktoren wolle man die ökologisch sinnvollsten Beispiele finden. „Manchmal kann es besser sein, weniger Waldflächen zu haben, aber dafür im eigenen Land mit traditionellen Methoden Feldbau zu betreiben.“

Erholung findet die Mutter siebenjähriger Zwillinge beim Yoga. Die Vereinbarkeit von Familie und Forschung erlebe sie als ziemlich herausfordernd, sagt sie. Umso mehr genieße sie die Freizeit mit ihren Kindern. „Mittlerweile sind sogar schon gemeinsame Reisen möglich.“

ZUR PERSON

Simone Gingrich (37) studierte an der Uni Wien Ökologie und begann nach dem Diplomstudium 2005 am Institut für Soziale Ökologie – damals an der Uni Klagenfurt, seit heuer an der Boku Wien angesiedelt – zu arbeiten. Sie promovierte 2010 und startete 2018 ihr vom ERC gefördertes Projekt „Hidden Emissions of Forest Transitions“. Unlängst wurde sie in die Junge Akademie der Akademie der Wissenschaften aufgenommen.

Alle Beiträge unter: www.diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2018)

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