Mit der Zellmüllabfuhr gegen Krebs

Georg Winter möchte die molekularen und chemischen Mechanismen bei der Krebsentstehung verstehen, um neuen Therapieansätzen den Boden zu bereiten. [
Georg Winter möchte die molekularen und chemischen Mechanismen bei der Krebsentstehung verstehen, um neuen Therapieansätzen den Boden zu bereiten. [(c) Akos Burg
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Fehlerhafte Genaktivität lässt Krebszellen wachsen. Der Biotechnologe Georg Winter möchte das körpereigene Zellreinigungssystem dazu bringen, diese zu vernichten.

Technische Innovationen in der DNA-Sequenzierung und -Manipulation erlauben es heutigen Forschern, unheimlich spannende Fragen zu stellen“, sagt Georg Winter. Und wenn er in den molekularen Mechanismen, die er untersucht, „auf einmal einen Sinn erkennen kann“, sei das einfach ein toller Moment. „Das Gefühl, etwas entdeckt zu haben, was sonst noch niemand weiß, ist ein einzigartiger Motivationsschub. Es lässt einen alle vorangegangenen Anstrengungen vergessen.“

Der Biotechnologe hat seine Ziele hoch gesteckt: Er möchte die komplexen Abläufe in den Zellen verstehen, die zur Entstehung von Krebs führen. Seit zweieinhalb Jahren leitet er dazu eine sechsköpfige Forschungsgruppe am Research Center for Molecular Medicine (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien. „Die Prozesse der Genregulation legen fest, welche Gene in einer bestimmten Zelle an- oder ausgeschaltet werden, also aktiv oder nicht aktiv sind“, erklärt der 33-Jährige. „Kommt es dabei zu Störungen, begünstigt das Krankheiten.“ So seien bei vielen Krebsarten Veränderungen in den genregulatorischen Schaltkreisen für das ungehemmte Wachstum der Tumorzellen verantwortlich. „Das macht die Schaltkreise theoretisch zu einem vielversprechenden Angriffspunkt für eine Behandlung.“

Erster Forschungserfolg in Harvard

Nur gelänge es gängigen Medikamenten bislang nicht, die krankheitserregenden Faktoren darin zu unterdrücken. Winter verfolgt daher eine neue Idee: Statt nur auf eine Blockade zielt er auf das natürliche Selbstreinigungsprogramm in unseren Zellen ab, das schadhafte Proteine kurzerhand entsorgt, sobald es sie entdeckt hat. Damit sie diesem nicht durch die Lappen gehen, müssen sie allerdings markiert werden. „Wir haben Moleküle entwickelt, die krebsauslösende Elemente in der Zelle für die körpereigene Müllabfuhr sichtbar machen“, so Winter. „Auf diese Weise wollen wir sie gleich ganz loswerden.“ Und zwar schon an dem Ort, an dem sie entstehen.

An diesem Ansatz hat der gebürtige Waldviertler in seiner dreijährigen Postdoc-Zeit an der Harvard Medical School in Boston mitgearbeitet und ihn 2015 als Erstautor im Fachmagazin „Science“ publiziert. Am CeMM, an dem er einst promoviert hat, führt er ihn jetzt fort. „Wir untersuchen beispielsweise mögliche Resistenzen von Krebszellen gegen unsere Methode. Dadurch möchten wir sie einerseits noch besser ergründen, andererseits könnte das auch zu sinnvollen Kombinationstherapien beitragen.“

Neben dem Entdeckerdrang ist das konkrete Anwendungspotenzial ein wesentlicher Antrieb für den Wissenschaftler. „Wenn unsere Ergebnisse Patienten in nicht allzu ferner Zukunft helfen könnten, würde mich das wirklich beglücken.“ Im Dezember wurde Winter für seine bisherige Forschungsleistung an der Schnittstelle von Genregulation, Krebsentstehung und chemischer Biologie mit dem Elisabeth-Lutz-Preis der ÖAW ausgezeichnet.

Seine Ausbildung schätzt er hoch: Vor dem Doktoratsstudium am CeMM hat er seine Diplomarbeit am Wiener Research Institute of Molecular Pathology (IMP) verfasst. Und auch wenn ihn später die geballte Intelligenz und die zupackende Mentalität in Harvard schwer beeindruckt hätten: „Meiner Meinung nach wird an den führenden heimischen Instituten mit denselben Ambitionen und dem gleichen Drive gearbeitet wie dort.“ Hier wie da hätten Internationalität und multidisziplinäre Forschungsperspektiven seinen Horizont erweitert.

Dass er das Grundstudium in molekularer Biotechnologie an einer Fachhochschule absolviert hat, habe sich nie als Nachteil für seine Forscherkarriere erwiesen. „Für mich war das zeitlich überschaubare, praxisnahe Angebot der FH Campus Wien damals ideal“, erinnert er sich. „Um letztendlich in der Wissenschaft weiterzukommen, braucht es vor allem Leidenschaft für die Sache, Auslandserfahrung und eine hohe Leistungsbereitschaft.“ Freizeit habe er nicht viel, räumt er ein: „Glücklicherweise war meine Frau früher selbst in der Forschung und versteht das.“ Bei gemeinsamen Reisen mit ihr und gelegentlich einem ruhigen Wochenende im Waldviertel könne er aber gut auftanken.

ZUR PERSON

Georg Winter (33) studierte von 2004 bis 2008 molekulare Biotechnologie an der FH Campus Wien, schrieb danach seine Diplomarbeit am IMP (Institute of Molecular Pathology) und promovierte 2013 am Forschungszentrum für Molekulare Medizin CeMM (Research Center for Molecular Medicine) in Wien. Von 2013 bis 2016 war er Postdoc an der Harvard Medical School in Boston. Seit gut zwei Jahren ist er Forschungsgruppenleiter am CeMM.

Alle Beiträge unter: www.diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2019)

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