Sprachpuzzle auf Sogdisch

Hinter alten, teils ausgestorbenen Sprachen erspürt die Iranistin Chiara Barbati das pulsierende Leben, das sie einst transportierten.
Hinter alten, teils ausgestorbenen Sprachen erspürt die Iranistin Chiara Barbati das pulsierende Leben, das sie einst transportierten.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Anhand von Textfragmenten in Sprachen, die nur noch eine Handvoll Forscher spricht, erkundet Chiara Barbati das mittelalterliche Leben an der Seidenstraße.

Eine besondere Buchstabenform, das Aussehen eines Korrekturzeichens, der Gebrauch eines bestimmten Wortes anstelle eines anderen, eine speziell gestaltete Manuskriptseite: Details wie diese weisen Chiara Barbati den Weg zur versunkenen Welt der Menschen, die einst entlang der Seidenstraße lebten. In der Antike und im Mittelalter verband jenes legendäre Netz aus Handelsrouten den Mittelmeerraum mit Ostasien. Barbati hat in Rom indoeuropäische Sprachen und Iranistik studiert. Am Institut für Iranistik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften forscht sie zu den Sprachen und Kulturen Irans und Zentralasiens in dieser Epoche.

„Die Sprachen, die wir als tot bezeichnen, waren ja einmal lebendig“, sagt die 38-Jährige. „Hinter ihnen stehen Menschen, Begegnungen und die Notwendigkeit, sich etwas mitzuteilen: ein Bedürfnis, ein Gefühl, religiöse Botschaften, politische und künstlerische Ideen oder schlichtweg Warenpreise und Alltagsangelegenheiten.“

Zu ihrem aktuellen Projekt führten eine Förderung des Wissenschaftsfonds FWF und ein Zufall, der sich vor etwa hundert Jahren ereignet hat. An einem abgelegenen Ort in Zentralasien fand man damals um die 1000 Bruchstücke von Handschriften aus dem 9. bis 11. Jahrhundert n. Chr. in sogdischer und syrischer Sprache.

Sprache ausgestorben, Kultur lebendig

Die Fundstelle jedoch, ein Hügel mit ein paar Mauerresten, wurde archäologisch nie erforscht und gibt keinerlei Aufschluss über die Menschen, die sie hinterlassen haben. Ihnen spürt Barbati nun anhand dieser Manuskriptfragmente nach.

„Wir sehen nur am Inhalt und an der Sprache der Texte, dass es sich um eine ostchristliche Gemeinschaft handelte.“ Über diese möchte Barbati mehr herausfinden. Etwa, wie sie die Techniken entwickelte und weitergab, die in diese Schriften einflossen. Wie sie lebte, was sie bewegte. Geografisch ist diese Gemeinschaft bei der Turfan-Oase an der Seidenstraße verortet.

„Zeugnisse des syrisch-ostkirchlichen Christentums haben einen engen Bezug zur Gegenwart“, betont Barbati. „Dieses ist in der Türkei, in Syrien, im Irak und in der Diaspora in Europa, Kanada, den USA und Australien immer noch sehr lebendig, auch wenn manche seiner Sprachen als ausgestorben gelten.“ Zum Beispiel Sogdisch, eine mitteliranische Sprache, die in Zentralasien von der Antike bis zum Mittelalter weit verbreitet war und in der sich die Händler an der Seidenstraße verständigten. Auch syrische Mönche nutzten das Sogdische, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen und sie zum christlichen Glauben zu bekehren. Barbati zählt zu der Handvoll Forschern, die es noch beherrschen.

Schon als Schülerin hegte die in L'Aquila in den Abruzzen geborene Italienerin eine Leidenschaft für klassische Sprachen. „Und ich hatte das Glück, großartige Aufführungen griechischer Tragödien in der sizilianischen Stadt Syrakus zu erleben.“ Diese frühen Neigungen veranlassten sie zu einem Studium, dem hier in Österreich die Indogermanistik entsprechen würde. Dabei befasste sie sich unter anderem mit Sanskrit und Armenisch, doch am meisten faszinierten sie die iranischen Sprachen. „Die Folge war ein Promotionsstudium in Orientalistik mit dem Schwerpunkt Iran und Zentralasien in der Antike und im Mittelalter“, erzählt sie. „Das Leben in der außerordentlich vielgestaltigen Region anhand der dort miteinander in Kontakt tretenden Sprachen zu erforschen, finde ich unglaublich spannend.“

An Österreich schätzt Barbati, dass man sich spürbar um Frauen bemühe, die eine wissenschaftliche Karriere und Mutterschaft vereinen wollen. Solche Initiativen seien wichtig und müssten unbedingt ausgebaut werden. „Man braucht konkrete Lösungen für reale, alltägliche Herausforderungen.“ Ihr Leben in Wien beschreibt die Iranistin, die hier mit ihrer Familie wohnt, als intensiv und kontrastreich, immer offen für Neues. „Phasen, in denen ich tief in meiner Arbeit stecke, wechseln ab mit Momenten, in denen ich einfach etwas anderes mache, mich etwa für ein Klavierstück begeistere oder zu Rock, Klezmer oder Balkanmusik tanze.“

ZUR PERSON

Chiara Barbati (38) studierte indoeuropäische Sprachen und Iranistik an der Universität La Sapienza in Rom. Einen Teil ihres Promotionsstudiums verbrachte sie an der BBAW in Berlin, seit 2010 forscht sie am Wiener Institut für Iranistik der ÖAW, wo sie u. a. Förderungen durch ein Apart-Stipendium der ÖAW und das Lise-Meitner-Programm des Wissenschaftsfonds FWF erhielt.

Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2019)

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