„Kommt der Falke von rechts . . .“

„Babylonische Wissenschaft beeindruckt durch ihre Systematik, auch wenn wir heute wissen, dass ihre Grundannahmen falsch sind“, sagt Nicla De Zorzi.
„Babylonische Wissenschaft beeindruckt durch ihre Systematik, auch wenn wir heute wissen, dass ihre Grundannahmen falsch sind“, sagt Nicla De Zorzi.(c) Caio Kauffmann
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Die Altorientalistin Nicla De Zorzi von der Universität Wien analysiert 3000 Jahre alte Keilschrift-Texte über Wahrsagungen und Magie. Tier-Omen galten als Zeichen der Götter.

Es ist vollkommen ruhig im Lesesaal des British Museum in London. Wissenschaftler sind an ihren Plätzen in die Arbeit vertieft. Plötzlich macht es „klick“. Einige der Forscher wissen, was das bedeutet, und wenden sich anerkennend um. Ihre Blicke treffen auf Nicla De Zorzi von der Universität Wien, die an ihrem Schreibtisch gerade zwei Tonfragmente mit babylonischen Keilschriftzeichen aus dem Bestand des Museums wie Puzzleteile zusammengefügt hat. Der gebürtigen Italienerin ist es mit Fachwissen und detektivischem Spürsinn gelungen, die bis dahin unabhängig voneinander archivierten Schriftstücke aus der mesopotamischen Kultur des ersten vorchristlichen Jahrtausends als zusammengehörig zu erkennen. Das gilt in Fachkreisen als besondere Leistung, weil dadurch scheinbar unbedeutende Fragmente ganz überraschende neue Erkenntnisse liefern können.

Wissenschaftliches Puzzlespielen

Nicla de Zorzi ist schon rund 30 Mal auf einer Liste genannt, die solche Forscher dokumentiert. „Da liest man die Zeichen auf einem solchen Bruchstück und denkt sich, diesen Text kennt man doch“, beschreibt die Assyrologin den Aha-Effekt. „Dann holt man sich ein anderes Stück, und wenn die Teile von der Form her tatsächlich zueinander passen, dann macht es dieses typische Geräusch.“ Das erfolgreiche Puzzlespiel ist aber nur ein Nebeneffekt der Forschungstätigkeit der Assistenzprofessorin, die in Anerkennung ihrer Arbeit vor Kurzem in die Junge Akademie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften aufgenommen wurde.

Dass sie diese babylonischen Schriftzeichen entziffert und übersetzt, hat einen ganz anderen Grund. „Katze von rechts bedeutet Unglück“, besagt etwa ein Aberglaube. Die Mesopotamier vor 3000 Jahren kannten ebenfalls solche Sprüche. Nach ihnen sucht Nicla De Zorzi auf diesen alten Tontafeln. Der Unterschied zu heute: Damals verstanden die Menschen solche Tier-Omen als Zeichen der Götter und hielten unbeirrt daran fest, selbst wenn sich die Weissagung nicht erfüllte. „Kritische Texte haben wir bisher nicht gefunden“, sagt die Expertin. „Das wäre ja Gotteslästerung gewesen.“ Dafür weiß man, dass ein Babylonier große Leistungen vollbringen würde, wenn ein Falke von rechts seinen Weg kreuzte. Angeblich zumindest. Verirrte sich hingegen ein Rabe in das Haus eines Kranken, durfte dieser auf rasche Genesung hoffen.

Rund 13.000 Textstellen werden für diese Studie untersucht. Nach London fahren braucht De Zorzi dafür nicht mehr so oft wie vor zwölf Jahren am Beginn ihrer akademischen Karriere. „Viele Tontafeln sind inzwischen digitalisiert und online abrufbar.“ Andere fotografiert sie bei ihren London-Besuchen und übersetzt, interpretiert und kommentiert sie dann zu Hause oder am Uni-Institut. Auch das Kunsthistorische Museum in Wien verfügt über einige Fragmente. Die Erkenntnisse der Forschung sollen die bestehende Fachliteratur erweitern und in eine Online-Datenbank einfließen.

Ein weiteres Forschungsvorhaben der Wahlwienerin wird mit einem EU-„Starting Grant“ in der Höhe von 1,5 Mio. Euro finanziert. Diese Zuwendung unterstützt Jungforscher bei bahnbrechenden Vorhaben. De Zorzi widmet sich dem analogischen Denken der Mesopotamier anhand von Texten aus der umfangreichen Bibliothek des assyrischen Königs Aššurbanipal aus dem 7. vorchristlichen Jahrhundert. „Es geht um Strukturelemente in diesen Schriften, die auf Ähnlichkeiten zwischen Wörtern, Dingen und Ideen aufbauen und so das antike Weltbild reflektieren“, erklärt sie. Was einander ähnlich ist, sei schicksalhaft verbunden und wirke aufeinander ein, waren die Mesopotamier überzeugt. Analogien erklärten auch den Zusammenhang zwischen der Welt der Menschen und jener der Götter.

Ihr Beitrag zur Erforschung dieses Aspekts der mesopotamischen Ideengeschichte ist der erste, der ein derart umfangreiches Quellenmaterial, rund 10.000 Literaturstellen, untersucht. Um „das Feld der Assyrologie zu öffnen“, will De Zorzi als Nächstes ihre Ergebnisse aus der mesopotamischen Literatur mit biblischen Texten und jenen des chinesischen Altertums vergleichen.

ZUR PERSON

Nicla De Zorzi (37) studierte Assyrologie und klassische Philologie in Venedig, wo sie 2011 promovierte. Anschließend forschte sie an der Universität München, ehe sie 2014 an die Universität Wien berufen wurde. Seit heuer ist sie dort Assistenzprofessorin am Institut für Orientalistik und Mitglied der Jungen Akademie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2019)

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