Wort der Woche

Globalhistorisch vs. Eurozentrisch

Europa war von der Spätantike bis in die Neuzeit kein Machtzentrum, sondern ein peripherer Randbereich. Dieser Schluss aus einer global- historischen Analyse sollte uns Demut lehren.

In dem Geschichtsbild, das wir Europäer in der Schule vermittelt bekommen, ist Karl der Große eine überragende Gestalt – war er doch um 800 der Begründer des riesigen Frankenreichs, aus dem später Frankreich, Italien und Deutschland (und auch Österreich) hervorgehen sollten. So bedeutsam dieses Reich auch gewesen sein mag: Im globalen Vergleich war es ein zurückgebliebenes Fleckchen Erde. Damals tonangebend waren die Byzantiner, die Araber, die Inder, die Chinesen. „Aus Sicht der großen Weltreiche und der Handelsnetzwerke in Afro-Eurasien stellte Westeuropa die äußerste Peripherie dar“, führt der Wiener Byzantinist Johannes Preiser-Kapeller in seinem eben erschienenen Buch „Jenseits von Rom und Karl dem Großen“ (292 S., Mandelbaum, 19,90 Euro) aus. Darin stellt er, wie es im Untertitel heißt, „Aspekte der globalen Verflechtung in der langen Spätantike“ dar – und zwar in einer globalhistorischen und nicht eurozentrischen Sichtweise.

Der Perspektivenwechsel macht nicht nur deutlich, dass Europa damals ein Randgebiet war, sondern auch, dass die Welt schon vor 1500 Jahren eng verflochten war. Neben Diplomaten, Kriegern und Händlern waren auch viele andere Schichten mobil, etwa Handwerker, Kleriker oder Pilger. „Die Weltenherrscher des achten Jahrhunderts waren sich wechselseitig ihrer Existenz und konkurrierenden Ansprüche durchaus bewusst“, so der Historiker.

Die Zentren waren miteinander und mit den peripheren Regionen durch weitgespannte Handelsnetze verknüpft. Viele Menschen wurden auch gegen ihren Willen in andere Teile der Welt verpflanzt – etwa Sklaven aus Europa und Afrika im Tausch gegen Edelmetalle und Luxusgüter aus dem Osten. Mit den Menschen und Gütern reisten auch Ideen und Religionen auf andere Kontinente. Überdies waren auch „nichtmenschliche Akteure“, so Preiser-Kapeller, weltweit unterwegs – z. B. Kulturpflanzen wie Reis, Zuckerrohr und Zitrusarten, die die kulinarischen Vorlieben ganzer Völker veränderten. Oder die Erreger von Pocken, Pest & Co.

Von all dem hat man bisher kaum etwas gehört. Die Lektüre des Buches ist daher ungemein aufschlussreich. Und sie kann uns Demut lehren: Die Geschichte zeigt nämlich, dass die europäische Hegemonie, die wir in unserer Lebensspanne noch erlebt haben und die nun offenbar zu Ende geht, nur eine relativ kurze Zeitspanne ausmachte – und dass dies keine Katastrophe sein muss, solange man in die globalen Netzwerke eingebunden ist. Auch wenn man „nur“ Peripherie ist.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2018)

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