Österreichs Umgang mit wissenschaftlicher Expertise

Diese Woche zeigte sich wieder einmal, wie in Österreich mit wissenschaftlicher Expertise umgegangen wird: Große und wichtige Studien werden von der Politik einfach ignoriert.

Herr und Frau Österreicher haben kein Naheverhältnis zur Wissenschaft. Das zeigte dieser Tage einmal mehr der „Wellcome Global Monitor“, bei dem gut 140.000 Menschen in 140 Ländern befragt wurden. Dabei gaben 46 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher an, nicht viel oder gar nichts über Wissenschaft zu wissen – und nur 53 Prozent zeigten ein Bedürfnis, mehr zu erfahren. Im internationalen Vergleich sind diese Werte blamabel.

Was dieses Desinteresse in der Praxis bedeutet, konnte man diese Woche deutlich sehen: Am Montag präsentierten renommierte Wissenschaftler eine große Machbarkeitsstudie zum Ausstieg aus dem Pflanzenschutzmittel Glyphosat. Das Ergebnis war eindeutig: Glyphosat habe im Vergleich zu anderen zugelassenen Herbiziden kein erhöhtes Risiko; von etwaigen Rückständen gehe keine Gefahr für die menschliche Gesundheit aus; es komme im Vergleich zu möglichen Alternativen zu keiner Reduktion der Artenvielfalt; Ackerbauern erlitten durch ein Verbot Verluste von zwei bis 16 Prozent; und ein nationales Verbot sei EU-rechtswidrig. Und was macht die Politik? Die hat auf die wissenschaftliche Expertise gepfiffen und tags darauf mit großer Mehrheit ein totales Glyphosat-Verbot beschlossen.

Szenenwechsel: Fast gleichzeitig präsentierten angesehene Umweltforscher eine Stellungnahme, wie Österreich den Pariser Klimaschutzvertrag doch noch erfüllen könnte. Sie richteten sich damit direkt an die Übergangskanzlerin, nachdem sie vom früheren Bundeskanzler „keine inhaltliche Reaktion“ erhalten hatten – und nachdem die CO2-Pläne der Ex-Regierung von der EU-Kommission als unzureichend eingestuft wurden. Der Plan der Forscher beinhaltet einen gangbaren Weg, mit dem die Treibhausgas-Emissionen bis 2030 halbiert werden könnten – inklusive ökosozialer Steuerreform und wirksamer Maßnahmen im Verkehr. Dadurch würde sich Österreich rund 40 Mrd. Euro an Schäden und Strafzahlungen ersparen. Den Grund, warum beim Klimaschutz bisher nichts weitergegangen ist, sehen die Forscher in „politischen Blockaden“.

Nun wird es spannend: Nach Jahren der Untätigkeit bzw. Leugnung sind plötzlich alle politischen Parteien im Gefolge der „Fridays for Future“-Bewegung „ergrünt“ und auf den Klimaschutzzug aufgesprungen. Sie hätten nun die Gelegenheit, den substanziellen Vorschlägen der Wissenschaft vielleicht doch einmal zu folgen. Oder aber es zeigt sich erneut, dass das Reden vom Klimaschutz bloße (Wahlkampf-)Rhetorik ist.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2019)

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