Nachtseite des socialen Lebens

Wien, 14. August 1868. Kaum ist eine Woche seit dem furchtbaren Ereignisse in Floridsdorf verflossen, so verbreitet ein zweiter Familienmord Entsetzen in der Residenz.

Zwar fallen solche Attentate gegen das sittliche Leben der Gesellschaft auch an anderen Orten vor. Aber daß solche Fälle besonders in unserer Mitte wuchern, daß der Selbstmord in Wien zuweilen epidemisch auftritt, daß verzweifelte Menschen oder Unmenschen ihr und der Ihrigen Leben hier so gleichgiltig wegwerfen, als wäre es ein zerfetztes leeres Portemonnaie, daß man hier mit dem Dasein so rücksichtslos umspringt wie in China, wo der Selbstmord eine Gewohnheit des auf Schlachtfeldern feigen, aber gleichwol das Leben verachtenden Volkes geworden ist, dies sind Erscheinungen, die sich nicht blos mit einem wilden Aufbranden empörter Gefühle, nicht mit dem Hinweise auf psychologische und pathologische Momente abthun lassen, sondern studirt und ergründet sein wollen. Trostlos wären wir, wenn wir dieselben für Phosphorrescenz halten müßten, die aus dem Schoße einer in faulige Währung übergegangenen Gesellschaft emporsteigen.

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