Ein Kämpfer namens Darwin

Wien, 11. Februar 1869. Die Naturwissenschaft der Gegenwart ist in gewisser Beziehung die Erbin der Philosophie.

Der Kampf über die wichtigsten Fragen der Menschheit, welchen der Gedanke mit dem Glauben, die Forschung mit der Ueberlieferung kämpft, ward bis in die neueste Zeit zwischen Philosophie und Theologie ausgefochten. Da stand denn Speculation gegen Speculation, die eine oft so wenig faßbar wie die andere, beide häufig im Wetteifer um den Preis der Unverständlichkeit und Dunkelheit. In unseren Tagen ist das anders geworden. Die Philosophie hat das Feld, auf dem sie so lange Widerstand geleistet, geräumt.

Nicht von der Macht der Theologie besiegt, sondern von ihrer eigenen immanenten Langweiligkeit zurückgedrängt. Aber an ihre Stelle trat als weit furchtbarere Streiterin die Naturwissenschaft. Sie kämpft nicht mit System, sondern mit Thatsachen, nicht mit Erklärungen der Dinge, sondern mit den Dingen. Sie sagt nicht: Das muß so oder so sein, sondern sie beweist, daß und warum das Ding so ist. Alle Zweige der Naturwissenschaft wirken zu dem großen Zwecke brüderlich zusammen. Der Geologe lehrt uns das Alter der Erde, die ungeheure Zeitdauer des organischen Lebens kennen; der Zoologe unterrichtet uns über die Thierseele, über den Verwandtschaftsgrad der Menschen mit anderen Säugethieren. Unabsichtlich arbeiten die Gelehrten an der Zertrümmerung alter Vorurtheile, die noch immer die Menschheit beherrschen wollen; eine anscheinend kleine Entdeckung wird zum Mauerbrecher, dessen thatsachenbeschlagener Kopf zehnmal zerstörender an die Wälle gedankenloser Gläubigkeit schlägt, als alle philosophischen Ideen.

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