Wandel im ehemaligen Rotlichtviertel: Lend - und wie weiter?

Vielgesichtigkeit als Charakteristikum des rechten Murufers. Lendviertel, Graz.
Vielgesichtigkeit als Charakteristikum des rechten Murufers. Lendviertel, Graz. (c) Paul Ott
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Lange war er als Rotlichtviertel und Substandard-Lebensraum verschrien: der Grazer Bezirk Lend. Mittlerweile ist der Wandel nicht mehr zu übersehen. Ob die Erfolgsgeschichte nördlich des Lendplatzes weitergehen wird, entscheidet sich jetzt. Eine Stadtwanderung.

Wenn Narrative über die Entwicklung von Stadtquartieren als touristische Attraktion vereinnahmt werden, so ruft das bei mir Skepsis hervor. Gemeinhin wird der Beginn des Aufschwungs im Grazer Lendviertel am Kulturhauptstadtjahr 2003 und der zeitgleichen Eröffnung des Kunsthauses, das genau an der Grenzlinie zwischen den Bezirken Lend und Gries liegt, festgemacht. Als ehemalige Handwerksquartiere am rechten Murufer, in die über lange Zeit nichts investiert worden war, hatten beide ein eher tristes Dasein gefristet. Gleich hinter der repräsentativen Gründerzeitbebauung am Kai hatte sich eine Nachtclub- und Rotlichtszene etabliert, und frei werdender Substandard-Wohnraum war vor der Jahrtausendwende fast nur mehr an Migranten vermietbar.

2003 gab zweifellos den wichtigsten Impuls für die Transformation des Umfelds um den Südtiroler Platz. Im Rücken des Kunsthauses, in der Mariahilferstraße, wurde diese Veränderung schneller sichtbar. Dort standen mehrere Häuser zum Verkauf, wurden saniert, und in die freien Geschäftslokale zogen Mutige aus der Kreativszene und Sozialvereine wie „Tagwerk“ ein. Dass sie von der Stadt unterstützt wurden, um die Mieten für ihre Ladenlokale aufbringen zu können, ist eine der Legenden über den Aufschwung des Lendviertels. Der Wandel hatte schon 1999 mit der gelungenen Neugestaltung des Lendplatzes durch Norbert Müller im Rahmen der Initiative „Platz für Menschen“ des jung verstorbenen Vizebürgermeisters Erich Edegger begonnen. Der dortige Bauernmarkt wurde zum beliebten Treffpunkt, die türkischen Läden trugen zur Attraktivierung bei. Die aktive nachbarschaftliche Aneignung des öffentlichen Raums als Stadtraum, der nicht bloß kommerziellen Interessen vorbehalten ist, ist das Anliegen des „Lendwirbels“, der heuer zum elften Mal im Frühling stattfindet. Seine Initiatoren und sozialen Netzwerker tragen heute mehr zur gedeihlichen Entwicklung des Lendviertels bei als die Stadtplanung – ja, sie bilden mit ihren Anliegen für eine entscheidungsoffene Mitgestaltung des eigenen Lebensraums eine kritische Instanz gegenüber Tendenzen, ihr Viertel als Teil der „City of Design“ für den Tourismus und die sogenannte Kreativwirtschaft zu vermarkten.

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