Mimikry mit vielen Jargons

Der Band „besser wäre: keine“ versammelt Theatertexte und Essays von Kathrin Röggla. Da durchdringen einander Fiktion, Montage und Reflexion. Fazit: eine witzige Kampfansage an die zeitgenössische Geschwätzigkeit.

Kathrin Röggla ist nicht auf eine Gattung festgelegt. Die 1971 in Salzburg geborene und heute in Berlin lebende Schriftstellerin wechselt zwischen Erzählprosa, Drama und Essay, wobei die Grenzen fließend sind. Die Erzähltexte sind oft szenisch präformiert, die dramatischen Texte enthalten essayistische Partien. Fiktion, Montage dokumentarischen Materials und Reflexion durchdringen einander.

Deshalb ist das Ungewöhnliche der vorliegenden Ausgabe wohlbegründet: Sie vereint Theatertexte mit Essays, die, zum Teil an entlegenen Orten, bereits veröffentlicht wurden. Auseinanderhalten kann man sie am leichtesten mittels der Typografie: Ihre literarischen Texte im engeren Sinn verfasst Röggla, einer etwas angegrauten avantgardistischen Tradition folgend, konsequent in Kleinschreibung, bei den essayistischen Texten hält sie sich an die übliche Großschreibung bei Substantiven und am Satzanfang.

Katastrophenangst ist das Thema der 2010 erschienenen „alarmbereiten“. Den Aufsatz „Geisterstädte, Geisterfilme“, der vier Jahre zuvor bei Droschl veröffentlicht wurde, kann man, wie mehrere Essays des Bandes, als Vorarbeit dazu verstehen. Genau genommen zieht sich das Thema „Katastrophe“ in der einen oder anderen Gestalt als roter Faden durch die gesamte Textauswahl. Nur am Ende stehen zwei Aufsätze, in denen Röggla ihre poetologischen Überzeugungen formuliert.

„Geisterstädte, Geisterfilme“ geht von der Beobachtung aus, dass Katastrophenfilme Stadtfilme sind, und weist im Lauf seiner Argumentation all die Qualitäten auf, die Rögglas Essays auszeichnen: Ungeniert vermanschen sie eigene Beobachtungen, politische Einsichten, soziologische Erkenntnisse zu einem Ganzen. Kathrin Röggla ist in den vergangenen Jahren weit gereist, und sie ist belesen, aber sie protzt nicht damit, beruft sich auf Quellen nur, wenn es der Beweisführung dient. Dabei können die Belege der aktuellen Popkultur ebenso entstammen wie einer von manchen ausgemusterten Fachliteratur.

Kathrin Röggla hat keine Berührungsängste. Sie ist eine Linke, wenn links rational und aufklärerisch bedeutet. Sie denkt sozial und interessiert sich für ökonomische Zusammenhänge. Sie ist erfreulich unmodisch, und wenn es auch gelegentlich einer gewissen Anstrengung bedarf, ihren Gedankengängen und Assoziationen zu folgen, sind sie doch nie so gewollt verschwurbelt wie etwa die Essays der beiden Philosophen Slavoj ?ižek oder Peter Sloterdijk, bei deren angestrengter Metaphorik der Verdacht des Bluffs stets naheliegt.

In dem Theatertext „fake reports“, uraufgeführt 2002 beim Steirischen Herbst, bedient sich Kathrin Röggla einer vom „korrekten“ Gebrauch abweichenden Sprache, wie es Ernst Jandl in seiner Sprechoper „Aus der Fremde“ exemplarisch vorgemacht hat: durch die kontinuierliche Verwendung des Konjunktivs anstelle des Indikativs. Was Elfriede Jelinek den Regisseuren überlässt – die Verteilung der Redeteile auf mehrere Sprecher –, nimmt Röggla ihnen ab.

Aber sie entwirft keine psychologisch charakterisierten Figuren. Die Sprache löst sich von den Sprechern ab, bildet eine autonome Textur. Sie ist kunstvoll arrangiert, überlegt strukturiert und damit eine Kampfansage gegen die Geschwätzigkeit, die manche zeitgenössischen Theatertexte und fast alle Fernsehspiele kennzeichnet. Das gilt auch für die strenge von Wiederholungen und Parallelismen durchsetzte Formalisierung in „draußen tobt die dunkelziffer“ und die etwas konventionelleren Dialoge in „die unvermeidlichen“ und in „NICHT HIER oder die kunst zurückzukehren“.

Die Protagonisten dieses letztgenannten Stücks, Mitarbeiter des Deutschen Entwicklungsdiensts oder der Weltgesundheitsorganisation, werden sanft karikiert, gerade so, dass ihre lächerlichen Seiten erkennbar werden, die Glaubwürdigkeit der Darstellung aber erhalten bleibt. Röggla betreibt Mimikry mit Berufs- und Gruppenjargons, und es bleibt auf der Kippe, ob sie deren Beherrschung demonstrieren oder sich über sie lustig machen möchte.

Man ahnt: Kathrin Röggla könnte auch eine Satire schreiben, aber sie will vermeiden, dass man mit dem Vorwurf der Übertreibung den zutreffenden Kern verdrängt. Sie hat Witz, aber der ist ernst gemeint. Für das schenkelklopfende Amüsiertheater unserer Tage ist Kathrin Röggla verloren.

Selbst im Vergleich mit den bedeutenden deutschsprachigen Dramatikern, die sich thematisch mit Röggla berühren, im Vergleich mit Elfriede Jelinek und René Pollesch, wirkt die jüngere Kollegin nachdenklicher, genauer, puristischer. Als typische Repräsentantin ihrer Generation wird sie nicht durchgehen.

Die Themen holt sich die Wahlberlinerin Kathrin Röggla wie kaum eine Dramatikerin oder ein Dramatiker ihrer Generation aus der politischen und wirtschaftlichen Gegenwart. Aber sehr viel radikaler als etwa Andres Veiel unlängst in seinem „Himbeerreich“ entfernt sie sich von der bloßen Abbildung, macht sie aus dem eingesammelten und vorgefundenen Material ein Artefakt.

Was für die Schriftsteller des 19. Jahrhunderts der Salon oder der Ballsaal, für die Schriftsteller der Fünfziger- und Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts das Beisl, die Kneipe oder die Disco, ist für Kathrin Röggla der Flughafen oder das Flugzeug unterwegs: ein Ort der flüchtigen Begegnung. Hier ist man überall und nirgends, wähnt sich noch als Teilhaber der „großen Welt“, die in Wahrheit längst schäbig und heruntergekommen ist.

Rögglas Humor ist subtil, zum Beispiel in dem folgenden Dialog, in dem die Form die Aussage konterkariert: „6 er glaube, george w. bush wiederhole sich nicht gerne. 1 nein, er wiederholt sich nicht gerne. 6 nein, das macht er nicht. 1 nicht? 6 nein.“ Oder in folgendem verbalen Schlagabtausch: „3 aber sie müssen doch irgendeine liste mit den hassfirmen vorbereitet haben, alle welt hat heute eine liste mit hassfirmen vorbereitet, und sie stehen da und spucken keine hassfirmen aus. 4 ich kann sie auswendig.“

Der Titel des Buchs ist eine Abwandlung eines darin enthaltenen Zitats. „Besser wäre keines“, sagt ein Architekt, der Mitarbeiter einer britischen NGO im Kongo war, und er meint das humanitäre Engagement. Röggla berichtet in ihrem vorzüglich recherchierten, auf Interviews basierenden und auch ihr Interesse an Katastrophen berührenden Aufsatz „von den gewaltigen Strukturveränderungen, die die NGOs hinterlassen, indem sie Lücken in soziale und traditionelle medizinische Netze reißen und Märkte – Arbeitsmärkte, Warenmärkte – durch Hilfsmittel vernichten“.

Solche Einsichten, die jedem Wissenschaftler Ehre machten, gehen wiederum in die künstlerische Produktion ein. Das kann (fast) nur Kathrin Röggla. Jedenfalls auf diesem Niveau.

TIPP

Kathrin Röggla
besser wäre: keine
Essays und Theater. 412 S., geb., € 23,70 (S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2013)

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