Allah und Olé

Seit Kurzem lebt Ilija Trojanow in Wien. In Kürze legt er ein neues Buch vor. Anlass für ein Gespräch über Österreich, den „Weltensammler“, den „Kampf der Kulturen“, das heutige Indien, das arabische Spanien und über den Terror.

Herr Trojanow, Sie haben in Afrika, Indien, Deutschland und an vielen anderen Orten der Welt gelebt, nun sind Sie nach Wien übersiedelt. Was war ausschlaggebend für Ihre Wahl?
Dass ich nach Wien ziehe, hat einige Freunde in Deutschland etwas befremdet. Ausgerechnet Frankfurter haben mich gefragt, was willst du denn dort? Also habe ich ihnen gesagt, dass es Relikte kolonialistischen Denkens sind, die in so einer Frage zum Ausdruck kommen. Ich hab mich für Wien entschieden, weil es so wunderbar zentral am Rande liegt. Wofür steht Österreich mit seiner Hauptstadt heutzutage? Ist es ein verklungenes Märchen einstiger Größe oder eine Erfolgsstory bei der Öffnung nach Ostenund dem Zusammenwachsen von Europa, ist es ein dynamischer moderner Kleinstaat oder eine Traditionsstätte wichtiger Elemente europäischer Kultur? Gerade diese produktiven Widersprüche und die charmante Raffinesse mancher Österreicher, damit umgehen, ziehen mich an. Hier hat mich noch niemand gefragt, wo ich herkomme, wenn ich meinen Namen nenne. Ilija Trojanow könnte als Wiener durchgehen. Ich glaub, es ist ein Ort, der zu mir passt.
Sie haben, salopp gesagt, einen raumaufzehrenden Lebensstil, und man nennt Sie gern einen Nomaden. Wollen Sie nun, mit knapp über 40 Jahren, endlich sesshaft werden?
Ich habe mich nie als Nomade gefühlt, ein Nomade hat keine Bibliothek. Ich hatte meine Bücher in München, Bombay und Kapstadt verstreut, und das jeweilige Buch, das ich gerade brauchte, war dann nicht selten am falschen Ort. Diese Wohnung hier, im neunten Wiener Bezirk, nicht weit vom
Sigmund-Freud-Haus, ist, was ich gesucht habe, ein ruhiges Basislager für meine künftigen Expeditionen. Sehen Sie diese vier Meter hohen Wände. Fürs Erste habe ich meinealten Regale kommen lassen, die Bücher lagern noch in zwei Reihen. Das Geld, das ich mit dem „Weltensammler“ verdient habe, ist in den Ankauf der Wohnung geflossen. Aber sobald ich wieder etwas verdient habe, lass ich mir Regale bis zur Decke bauen.
Im „Weltensammler“ folgen Sie den Spuren von Sir Richard Burton, einem untypischen englischen Kolonialoffizier, der sich geradezu emphatisch mit fremden Kulturen, Sprachen und Menschen auseinandersetzt. Das Buch wurde ein fulminanter Erfolg. Sie scheinen das ohne Größenwahn verkraftet zu haben.
Zum einem ist jedem Autor wenigstens einmal in seinem Leben so ein Erfolg zu wünschen, weil er vieles erleichtert. Zum andern habe mich aber darüber gefreut, dass der „Weltensammler“ einen Nerv getroffen hat. Es besteht offenbar auch im deutschen Sprachraum ein starkes Bedürfnis nach Büchern, in denen die Autoren über den Tellerrand der eigenen Zivilisation hinausschauen. Ich wollte einen neuartigen Roman schreiben, in dem das Interkulturelle kein leeres Wort ist. Einen Roman, in dem die Geschichte der gegenseitigen Begegnung unserer Kulturen auch tatsächlich von beiden Seiten erzählt wird. Da ist mir ziemlich schnell Richard Burton eingefallen, als eine Figur, mit der das durchgespielt werden kann. Burton war ja ein Mann, den das Fremde fasziniert hat, der die Fremde erhalten wollte, um in sie einzutauchen, der nicht paranoid auf das Andersartige reagiert hat. Und was den Größenwahn betrifft: Es stünde nicht nur Autoren, sondern auch anderen Menschen gut an, sich selbst und ihr Ego nicht so tierisch erst zu nehmen.
Das klingt nach Buddhismus für Anfänger.
Man muss ja auch irgendwo anfangen. Mich persönlich hat während meines mehr als fünfjährigen Aufenthalts in Indien der Sufismus stark beeindruckt, eine weltoffene, sinnliche, kulturbejahende und mystische Richtung des Islam (siehe auch Seite IX).
Richard Burton, dem Sie auf möglichst vielen Wegen folgen, sogar auf die Hadsch sind Sie gegangen, hatte als Agnostiker einen pluralistisch-toleranten Zugang zu Religionen. Einer seiner schönsten Sätze lautet: „Warum aus einem guten Hindu einen schlechten Christen machen?“ Wenn man andere Originalzitate von Burton liest, die Sie in Ihre Dokumentation „Sir Richard Burton – Nomade auf vier Kontinenten“ eingebaut haben, stellt man allerdings ernüchtert fest, dass er einRassist war.
Genau, ich habe auch das Gefühl, dass der Rassismus heutzutage etwas auf die leichte Schulter genommen wird. So in dem Sinn, da gab es einmal schlechte Leute, die absurderweise dachten, dass die Schwarzen minderwertig seien. Es ist aber wichtig, darauf hinzuweisen, dass selbst ein weltoffener, revolutionärer und exzentrischer Mann wie Burton sich nicht von diesem Denken befreien konnte. Im Übrigen bin ich im Rückblick von eineinhalb Jahren mit der Rezeption des „Weltensammlers“ nicht restlos glücklich. Auch die positiven Reaktionen sind nicht ganz frei von rassistischem Dünkel.
Inwiefern?
Es ist schmerzhaft festzustellen, dass die Aufmerksamkeit im deutschen Sprachraum total auf Richard Burton fokussiert ist. Ich habe in diesem Buch aber versucht, die Einheimischen zu Wort kommen zu lassen. Burtons indischer Diener Naukaram oder Sidi Mubarek Bombay, der die Expedition zu den Nilquellen geleitet hat, sind historische Figuren, die noch viel mehr zu sagen haben als Richard Burton. Es ist ernüchternd zu sehen, wie die alten Strukturen reproduziert werden, auch in der Reaktion auf ein Buch, das diese Strukturen bewusst infrage stellt.
In Ihrem neuen Buch, „Kampfabsage“, wenden Sie sich mit Ihrem Freund Ranjit Hoskoté dezidiert gegen die These vom Clash of civilisations.„Kampfabsage“ ist ein vielversprechender Titel, aber ist es nicht naiv, ei- nen Kampf zu leugnen, der seit dem 11.September 2001 offenbar existiert und auch vor europäischen Städten nicht haltmacht?
Der Kampf wird nicht geleugnet, er wird programmatisch abgesagt. Wir sind die letzten, die eine von fundamentalistischen Strömungen ausgehende Gefahr bagatellisieren. Im Gegenteil, wir behandeln ja nicht nur den allseits bekannten Fundamentalismus islamischer Prägung, wir weisen auch auf seinen Bruder im fanatischen Geiste hin, den Hindutva. Wenn es nach den militanten Vertretern der Hindutva geht, sollen alle Nichthindus vertrieben werden. Nun ist Indien aber der Vielvölker-, Vielreligionen- und Vielkulturenstaat schlechthin. Man weiß in Europa viel zu wenig von diesen Auseinandersetzungen, weil alle gebannt auf den Islamismus starren. Aber wenn diese Konflikte bewusst geschürt werden und in einem Staat mit 1,2 Milliarden Einwohnern explodieren, dann käme es zu einem beispiellosen Abschlachten. Das wäre eine verheerende Katastrophe.
Sie wenden sich in „Kampfabsage“ gegen den Missbrauch der kulturellen Differenz für politische Zwecke.
Richtig. Wir brauchen eine Enthysterisierung, eine Deeskalation. Wenn das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ auf dem Cover die schleichende Islamisierung Deutschlands heraufbeschwört, ist das nicht sehr hilfreich.
Ist das denn so falsch?
Es ist völlig absurd. Gibt es im deutschen oder – als Neo-Wiener darf ich das fragen – österreichischen Parlament nur einen einzigen Muslim? Das Abendland braucht sich weder vor kopftuchtragenden Frauen noch vor Moscheen zu fürchten.
Vielleicht aber vor Hasspredigern in diesen Moscheen?
Nicht alle predigen Hass. Diejenigen, die es tun und Gesetze übertreten, gehören auch nach den Gesetzen des Rechtsstaates behandelt. Im Übrigen versuchen wir in unserem Buch auch nachzuvollziehen, woher dieser Hass kommt. Confluence, das ist der englische Terminus für Zusammenfließen, funktioniert ja leider nicht nur als Vermischung der die Gesellschaft beglückenden Einflüsse. Confluence funktioniert in allen Richtungen. Das, was wir heute als größten Feind unserer westlichen Welt empfinden, ist auch durch Vermischung, die wir Hybridisierung nennen, zustande gekommen. Die Hybridisierung von kolonialen Vorbildern der westlichen Welt mit der Reaktion in der kolonialisierten Welt. Man kann die heutigen Spannungen nur verstehen, wenn man weiß, dass die von uns proklamierte Freiheit immer nur für uns gegolten hat. Diejenigen, die wir 500 Jahre lang unterdrückt haben, wollen unsere Würde und die Freiheit aber auch für sich in Anspruch nehmen.
Die westliche Welt, die den Krieg gegen den Terror ausgerufen hat, ist also schuld am Krieg durch den Terror?
Man muss nüchtern sehen, dass der fundamentalistische Islam und der fundamentalistische Hinduismus eine Reaktion auf westliche Einflüsse sind. Ohne den Kolonialismus gäbe es auch keinen Fundamentalismus. Was ist passiert, als Kolumbus 1492 die sogenannte Neue Welt betreten hat? Die indigenen Völker wurden ausgerottet. Und die Juden, die lange ein integraler Bestandteil des so zersplitterten wie toleranten islamischen Reichs al-Andalus waren, die höchste Regierungsämter innehatten, wurden – wenn sie Glück hatten – vertrieben, wenn sie Pech hatten, gefoltert und ermordet.
Reden wir von den positiven Möglichkeiten kultureller Vermischung, denen die „Kampfabsage“ gewidmet ist.
Das sind nicht nur Möglichkeiten, das sind historische Tatsachen, die viel zu wenig bekannt sind. Eins meiner Lieblingsbeispiele handelt vom Gedanken der Rationalität. Es waren islamische Denker, die im 11. Jahrhundert die Allmacht des frommen Denkens abgelehnt haben, und zwar mit einem geschickten Schachzug. Sie haben zwei Ebenen postuliert, eine göttliche, die vom Koran geprägt wird, und eine weltlich-pragmatische. Sie haben dem Glauben und dem skeptischen Denken ein jeweils separates Reich zugewiesen. Die Trennung von Kirche und Staat, die gesamte westliche Aufklä-
rung– sie wären ohne den Islam nicht denkbar. Wer weiß das heute in Europa?
„Kampfabsage“ ist voll von solchen Beispielen. In der Einleitung behaupten Sie, dass der Olé-Gesang der ahnungslosen Fußballfans eigentlich von Allah kommt und Olé nicht mehr und nicht weniger als Gott heißt.
Ja, das ist ein gewitztes Beispiel dafür, dass die Fußballanhänger in aller Welt unbewusst den Namen Gottes ausrufen.
Haben Sie und Ranjit Hoskoté also auch ein Buch für Fußballfans geschrieben?
Wir, ein europäischer und ein indischer Autor, haben zehn Jahre am diesem Buch gearbeitet. Es war ein symbiotisches Projekt unter Freunden. Ursprünglich war es ein streng wissenschaftliches Werk, das vielleicht 2000 Leser gefunden hätte. Dann haben wir die „Kampfabsage“ in ein populärwissenschaftliches Buch umgearbeitet, das jeder Mensch lesen kann. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.