Zwischen Kuscheln und Kapital

Nicht weniger als „eine Alter-native zu Kommunismus und Kapitalismus“ verspricht Christian Felber in seinem Band „Neue Werte für die Wirtschaft“. Und präsentiert vor allem wohlbekannte Kritik am bestehenden System.

Der Nokia-Konzern sperrt trotz hoher Gewinne ein Werk in Bochum; abenteuerliche Konstruktionen auf US-amerikanischen Kreditmärkten reißen große Banken in die Krise; in Liechtenstein fliegt ein monumentaler Steuerskandal auf: Selbst eingefleischte Anhänger des Kapitalismus fragen sich dieser Tage, ob in unserem Wirtschaftssystem etwas schief läuft, und Kapitalismuskritik findet wieder ihren Weg in die Talkshows. Wer aber Kapitalismus kritisiert, wird postwendend mit der Frage nach der Alternative konfrontiert: Der Sozialismus habe schließlich in mehr als 40 Jahren kommunistischer Diktatur in Osteuropa bewiesen, dass er nicht zum Wohl der Menschheit beiträgt.

Das geht auch Christian Felber, Mitbegründer des globalisierungskritischen Netzwerks Attac, seit Jahren so. Mit seinem Buch „Neue Werte für die Wirtschaft“ wagt er den Befreiungsschlag aus der Dichotomie zwischen Kapitalismus und Sozialismus: Hinter dem Schutzumschlag, etwas irreführend mit Schattenrissen von Heuschrecken verziert, verbirgt sich mehr als die übliche Kritik an hohen Managergehältern und gierigen Hedgefonds. Das Buch verspricht „eine Alternative zu Kommunismus und Kapitalismus“.

Kritik am Kommunismus kommt im Buch nicht vor: Der habe sich selbst erledigt. Umso intensiver widmet sich der Autor der Kritik am Kapitalismus. Der baue auf einer Fehlannahme auf: dass der Mensch nämlich egoistisch sei und dass deshalb der Wohlstand aller nur steigen könne, wenn jeder seinen eigenen Vorteil verfolge. Felber widerspricht dieser Grundannahme vehement.

In den ersten Kapiteln arbeitet Felber akribisch den Wertekanon durch, mit dem Vordenker wie Friedrich August Hayek und Milton Friedmann das neoliberale Wirtschaftssystem unterlegt haben: Die Grundwerte Freiheit, Erfolg, Wettbewerb und Leistung werden als Versprechen entlarvt, die nie eingehalten wurden, die Schlagworte Wettbewerbsfähigkeit, Chancengleichheit und Eigenverantwortung hinterfragt und als gescheitert abgelegt. Felber argumentiert so schlüssig, dass man sich beim Lesen vornimmt, Hayek und Friedmann noch einmal zur Hand zu nehmen und nachzulesen, wie die ihre Theorien nun wirklich gemeint haben.

Am Beispiel Freiheit: „Wirtschaftliche Freiheit ist die Voraussetzung für jede andere Art von Freiheit“, schreibt Hayek, und Friedmann glaubt: „Der Kapitalismus ist eine notwendige Voraussetzung für politische Freiheit.“ Felber vergleicht diese Versprechen mit der Realität 40 Jahre danach. Er kritisiert, dass das Primat wirtschaftlicher Freiheiten vor materieller Absicherung und Bürgerrechten nicht zu mehr Freiheit, sondern zu mehr Zwang geführt habe. Man könne sich nicht aussuchen, ob man an der Marktwirtschaft teilnimmt, und die meisten handeln unter existenziellem Zwang: „Wenn eine Tauschbeziehung auf Zwang beruht, dann gibt die VerliererIn das, was sie gibt, unfreiwillig. So etwas nennt man landläufig Diebstahl.“ Felber listet die Schattenseiten des Kapitalismus auf und stellt sein eigenes Bild von Wirtschaft gegenüber: eines, das nicht die Vermehrung von Kapital, sondern das Wohl der Menschen und ihrer Umwelt in den Mittelpunkt rückt.

An manchen Stellen wird es da für viele wohl ein bisschen zu kuschelig. Wem es – wie der Rezensentin – schon beim leisesten Anklang von Esoterik die Nackenhaare aufstellt, der muss die Zähne zusammenbeißen, wenn von „Mutter Erde“ und der „Heilung des Universums“ die Rede ist. Felber weiß das und geht mit einem Augenzwinkern damit um: „Das Allerheiligste, die vollkommene Ganzheit, könnten wir – bitte erschrecken Sie nicht, betrachten Sie es als Übung – Gott nennen.“ Aber das Buch ist zu gut recherchiert, um es als esoterisch abtun zu können: Auch nüchterne Leser werden dem Autor die Rückverankerung in einem ganzheitlichen Weltbild verzeihen. Schließlich geht es um Werte. Man mag Felber Naivität vorwerfen: Doch das tut auch er mit den Verteidigern des Kapitalismus.

An das Ende seines Werks stellt Felber seine eigene Wirtschaftstheorie: die Alternative zu Kommunismus und Kapitalismus. Der Text liest sich hier abschnittsweise wie ein Manifest. Felber schafft, schöpfend aus den Vorschlägen sozialer Bewegungen, wohl erstmals eine alternative Wirtschaftstheorie, die nicht im Präkapitalismus oder in indigenen Gesellschaften verankert ist, sondern im Hier und Jetzt funktionieren soll: „Das Ziel der Wirtschaft ist das größtmögliche Wohl aller durch die bestmögliche Befriedigung menschlicher Bedürfnisse.“

Unternehmen dürfen demnach nicht gewinnorientiert sein. Ihr Erfolg soll am Wachsen des – demokratisch zu definierenden – Gemeinwohls gemessen werden. Einkommensungleichheiten sollen begrenzt werden: Ein Manager soll nicht mehr als das 20-Fache des Mindestlohns verdienen dürfen. Felber geht nicht so weit, Privateigentum abschaffen zu wollen: „Grenzen für Privateigentum müssen nur dort festgelegt werden, wo die Freiheit anderer bedroht ist“, fordert er. Lieber wäre ihm aber die Förderung von Gemeinschaftseigentum.

Bleibt die Frage, wie man vom Kapitalismus in diese schöne neue Wirtschaftswelt wechseln soll. Felber stellt sich einen schleichenden Übergang vor, eingeleitet durch profane Maßnahmen wie Steuererleichterungen, Vorrang bei öffentlichen Aufträgen, günstige Kredite. Der Mensch, meint Felber, sei nicht egoistisch, sondern zur Kooperation geboren. Diese Anlage müsse nur gefördert werden, dann ergebe sich der Rest – geänderte Regeln vorausgesetzt – fast von selbst.

Christian Felber hat mit seinen „Neuen Werten für die Wirtschaft“ so etwas wie ein Standardwerk der globalisierungskritischen Bewegung geschaffen. Es ist ein bisschen schade, dass wesentlich mehr Energie in die teils wohlbekannte Kritik des bestehenden Systems geflossen ist, die „Alternative zu Kommunismus und Kapitalismus“ hingegen nur in Umrissen beschrieben wird. Aber Felber wird noch Gelegenheit haben, seine Theorie auszubauen: Denn auch wenn er den Abschied vom Kapitalismus noch so zwingend logisch beschreibt, so schnell wird das System wohl nicht kippen.

Christian Felber glaubt fest an das Gute im Menschen. Der Rest der Menschheit ist wohl noch nicht ganz so weit. ■


Am 10. März diskutiert Christian Felber im Wiener Billrothhaus (Frankgasse 8) über sein neues Buch: u. a. mit Hermann Knoflacher, Helmut Schüller und Corinna Milborn. Beginn 19 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2008)

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