Vom Umgang mit Röcken und Vibratoren

„Hana“: Elvira Dones' Geschichte einer Frau, die 14 Jahre als Mann lebt und sich „resozialisiert“. Eine großartige, mutige soziale Studie.

Der Inhalt von Elvira Dones' Roman „Hana“ ist leicht erzählt: Kaum 19 Jahre alt, schwört die im Norden Albaniens lebende Hana ewige Jungfräulichkeit. Dabei folgt sie, weil sie eine von ihrem Onkel vorgesehene Ehe nicht eingehen will, einem alten albanischen Brauch, der sich „Kanun“ nennt. Diesem zufolge dürfen Frauen, die sich nicht von einem Mann abhängig machen wollen, selbst den sozialen Status eines Mannes annehmen. Für Hana, die ihren krebskranken Onkel – ihren letzten Verwandten – pflegt, scheint dieser Schwur der einzige Ausweg aus einer korrupten und brutalen Männerwelt.

Umgeben von den Tieren, dem Wald, denBergen und einigen Büchern, deren Worte die intellektuelle Hana stützen und stärken, verwandelt sich Hana nach und nach in Mark Doda. Diese Metamorphose geht einher mit dem Sterbeprozess des Onkels, der schließlich begreift, dass er sein Pflegekind nicht mit einem Mann verheiraten kann, den sie nicht liebt: Hana, also Mark, integriert alles, was der Onkel von sich zurücklässt, in ihre Persönlichkeit. Das Gewehr, das der Onkel ihr vererben wird, verwandelt sich in einen Alltagsgegenstand.

Noch während der Ziehvater mehr und mehr schwindet, beginnt Hana, seine Kleider zu tragen, kürzt die Hosen und Hosenträger und nimmt so Abschied von einer intensiven Kindheit in einem korrupten Bergdorf, das „von Wölfen umgeben“ ist, wie der Onkel in einem der letzten Gespräche zu seiner Nichte meint. Er rät ihr, auf sich aufzupassen. Die Wölfe kennt Hana aber bereits. Einer hat sie, als sie sich aufmachte, Medikamente für den Onkel zu besorgen, auf ihrer Reise in die Stadt mitgenommen und vergewaltigt. Hana weiß also Bescheid.

Mit dem Tod des Onkels vollzieht sich der Paradigmenwechsel endgültig: Jetzt ist Hana Mark. Ganze 14 Jahre lebt sie mit ihren Erinnerungen im Bergdorf ihrer Kindheit. Dann holt die Vergangenheit Mark ein: Eine Freundin, die nach Amerika ausgewandert ist, sucht die ehemalige Hana gemeinsam mit einem amerikanischen Filmteam auf. In gemeinsamen Gesprächen und dem vorsichtigen Abtasten der Mädchenfreundschaft vergangener Tage wird Mark schließlich wachgerüttelt und reist zu seiner Cousine Lila nach Amerika. Der Ortswechsel scheint die einzige Möglichkeit, sich vom Gelübde zu befreien. Wie aber wird ein Raki trinkender, kettenrauchender Mark aus dem Norden Albaniens wieder zu Hana?

Die Form des Buches ist zweigeteilt. Die Kapitel springen zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit und zeigen so auf einewunderbare Art und Weise die Zerrissenheit der Protagonistin auf, die mit einem Fuß schon im neuen Leben, im Frausein steht, und mit dem anderen noch den Schmerz nachempfindet, der sie dazu brachte, dieses zu verweigern.

Während die 14 Jahre als Mark fast eher eine Leerstelle darstellen, wird der Erkrankung des Onkels sowie der Resozialisierung als Frau ein großer Teil des Buches gewidmet. Sorgen des Alltags bilden die Grundlage des Gegenwartsstranges: Da geht es um Schminke, um Röcke, die gekauft werden müssen, um BHs, die nicht passen, und schließlich auch um Vibratoren und den ersten zarten Versuch, sich einem Mann zu nähern. Immer wieder werden diese Passagen konterkariert mit den Ideen und Vorstellungen der Lebenswelt der 19-jährigen Hana, die ihr Studium in der Stadt aufgibt und für den Menschen, den sie liebt, kämpft, obwohl dieser längst von den Ärzten aufgegeben wurde.

Erinnerungen an die bei einem Autounfall gestorbenen Eltern werden wach, eskommt zu ersten Dates, die jedoch von der durch den Verlust traumatisierten jungen Hana „vermasselt“ werden, und zur Flucht in Bücher und die Pflege des letzten Hinterbliebenen. Nicht nur die Dramaturgie des Buches, auch die Sprache ist einfach und klargestaltet, dafür aber nicht minder poetisch: Mittels Reduktion, Leerstellen und vereinzelten Zitaten aus der Literatur, die Hana liest, entwickelt der Text einen Sog, dem mansich nicht entziehen kann.

In Zeiten, in denen Geschlechtsumwandlung in Europa und Amerika längst thematisiert wird, ist dieser Roman, dessen Setting sich in der albanisch Bergwelt aufrollt und in Amerika seinen Endpunkt nimmt, eine großartige soziale Studie, die uns zeigt, wie sehr wir alle mit Bildern, Zuschreibungen und Identitäten zu kämpfen haben. Ein leises und überaus mutiges Buch. ■

Elvira Dones

Hana

Roman. Aus dem Italienischen von Adrian Giacomelli. 252 S., brosch., € 19,60 (Ink Press, Zürich)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2016)

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