„Nur ein Talent, ein ganz kleines“

Politisch „verdorben“ durch Lektüre der „Neuen Freien Presse“. Hermynia Zur Mühlen mit Wieland Herzfelde.
Politisch „verdorben“ durch Lektüre der „Neuen Freien Presse“. Hermynia Zur Mühlen mit Wieland Herzfelde.(c) Herzfelde-Archiv, Akademie der Künste, Berlin
  • Drucken

Sie stammte aus österreichischem Hochadel, war sozial engagiert, Literatin, Kommunistin, Nazigegnerin, Exilantin. In die Literaturgeschichte ging Hermynia Zur Mühlen als „rote Gräfin“ ein – und wurde vergessen. Eine vierbändige Werkausgabe lädt zur Wiederentdeckung ein.

Eine editorische Großtat: Im Auftrag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ist nun eine Werkausgabe der 1883 in Wien geborenen expressionistischen Dichterin Hermynia Zur Mühlen erschienen. Romane, Essays, Kurzgeschichten, längere Erzählungen und Märchen bilden einen breit gefächerten, aber immer in sich stimmigen Textkorpus, bestehend nun aus vier Bänden. Kann eine heute nur noch Spezialisten der Literaturgeschichte bekannte Autorin einem größeren Publikum mit einer solchen „Breitseite“ nähergebracht werden? Die Skepsis verfliegt schnell. Bereits die behutsame Einführung von Felicitas Hoppe macht neugierig, und bald stellt sich Faszination ein.

Die üblicherweise chronologische Abfolge der Texte durchbrechend stehen die Memoiren Hermynia Zur Mühlens am Beginn. Sie konfrontieren den Leser unmittelbar mit einer komplexen, widersprüchlichen und in ihren Antagonismen ungeheuer gewinnenden Persönlichkeit. Eine 45-jährige revolutionäre Dame blickt 1929 auf die ersten drei Dezennien ihres Lebens zurück. So zukunftsorientiert wie geschichtsbeladen überschreibt sie das mit „Ende und Anfang“. Hermine Isabelle Maria Viktoria Gräfin Folliot de Crenneville-Poutet wächst in Gmunden am Traunsee auf, im Schoß einer alt- und hochadeligen Familie hätte man in ihren Jugendjahren wohl gesagt, führte sich diese doch in ihrer Genealogie bis auf normannische Grafen im Gefolge Wilhelm des Eroberers zurück. Und war doch der Großvater als Militärkommandant in der Toskana, später als Oberstkämmerer des Kaisers ein maßgeblicher Akteur bei der Einrichtung des Kunsthistorischen Museums – und damit eine bedeutende Persönlichkeit im Herbst der Monarchie.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.