Bilder nicht nur im Kopf

Während der NS-Zeit waren Hass- und Feinbild-Ausstellungen beliebte Propagandamittel, um die „Untermenschen“ erfolgreich zu diffamieren. 1941 wurde in Wien die Ausstellung „Das Sowjetparadies“ initiiert, die danach quer durch Europa zu sehen war.

Mit sensationalistisch gestalteten Wanderausstellungen wurde im Nationalsozialismus ein dichtes Netz visueller Hasspropaganda produziert, das sich nach Beginn des Zweiten Weltkrieges immer weiter über Europa spannte. Die 1941 in Wien initiierte Feindbild-Ausstellung „Das Sowjetparadies“ war eine der meistbesuchten. Alleine bis November 1942 kamen über drei Millionen Menschen in die „Sowjetparadies“-Schau. Bis dahin war die Großausstellung in acht europäischen Städten gezeigt worden. Zahlreiche weitere waren für das Jahr 1943 avisiert. Inzwischen wurde die Ausstellung zusätzlich in zwei weiteren, kleineren Versionen durchgeführt.

So waren „Sowjetparadies“-Ausstellungen Anfang Oktober 1942 in Essen, in Oslo und in Straßburg zu besuchen. Wien, wo „Das Sowjetparadies“ Mitte Dezember 1941 im Messepalast erstmals präsentiert wurde, verzeichnete 470 000 Besucher innerhalb von sieben Wochen, Prag 300 000, Berlin 1,2 Millionen. Dann Hamburg. Essen. Und so fort. „Das Sowjetparadies“ zählte nicht nur zu den meistbesuchten, sie galt als die „erfolgreichste politische Ausstellung überhaupt“. Obwohl diese Zahlen aus NS-Quellen stammen und mitunter übertrieben waren, muss der Zulauf zu dieser Ausstellung enorm gewesen sein. Die Mobilisierungsmaschinerie lief auf Hochtouren. Neben NS-nahen Organisationen und Verbänden der NSDAP wurden Betriebsbelegschaften, Wehrmachtsangehörige und Schulklassen durch die Ausstellung geschleust. Die reißerische Bewerbung als sensationelle „Reise durch die Sowjet-Union“ sollte Zigtausend Menschen aus Neugierde und Schaulust anziehen.

Wien, Anfang Dezember 1941. Seit dem 22.Juni herrschte Krieg gegen die Sowjetunion. Nach vorangegangenen Deportationen wurden seit Oktober dieses Jahres Juden aus dem deutschen Reichsgebiet systematisch nach Osteuropa verschleppt. Während von Wien aus Tausende Menschen in Ghettos und Vernichtungslager transportiert wurden,karrten Propagandatrupps geplünderte Gebäude und Gegenstände aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion für diese Ausstellung nach Wien. Zur Zeit der Ausstellungsvorbereitungen befand sich der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels in Wien. Er hielt eine Festrede anlässlich des 150.Todestages von Wolfgang Amadeus Mozart. Am Vormittag des 4. Dezember besuchte Goebbels das Institut für Ausstellungstechnik und Bildstatistik in der Ullmannstraße 44.

Dieses Institut war neben der Reichspropagandaleitung der NSDAP und dem Institut für Deutsche Kultur- und Wirtschaftspropaganda federführend an der Umsetzung der „Sowjetparadies“-Ausstellung beteiligt. 1934 aus der gewaltsamen Umstrukturierung des avancierten Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums hervorgegangen, wurden unter dem Dollfuß/Schuschnigg-Regime von da an Propaganda-Aufträge durchgeführt. Nahezu nahtlos setzte das Bildstatistik-Institut einschlägige Tätigkeiten im Nationalsozialismus fort. Die Erweiterung der 1938 in Wien gezeigten antisemitischen Hass-Ausstellung „Der ewige Jude“ war eines der ersten Großprojekte dieser Einrichtung unter dem NS-Regime.

Profitorientierte Unternehmungen

Nicht zuletzt waren Propaganda-Ausstellungen profitorientierte Unternehmen. Ausstellungen, die NS-ideologisch verankerte Feindgruppen thematisierten, konnten große Gewinne aus den Eintrittsgeldern erzielen. Realität simulierende Einbauten sollten die Anziehungskraft beim Publikum steigern. Die Schau- und Erlebniswelt „DasSowjetparadies“ zeigte neben erbeutetem Militärgerät aus NS-Perspektive rekonstruierte Wohn- und Arbeitsgebäude aus den besetzten Ostgebieten. Als „Russland-Expeditionen“ wurden die Lkw-Fahrten bezeichnet, die Mitarbeiter der NSDAP Reichspropagandaleitung zur Beschaffung von Ausstellungsobjekten organisierten. Einige dieser Objekte dürften im Raum Minsk abgetragen worden sein. In der weißrussischen Hauptstadt war unmittelbar nach der militärischen Einnahme Anfang Juli 1941 mit der Errichtung eines Ghettos für die jüdische Bevölkerung begonnen worden. Am 28. November verließ Wien ein weiterer Deportationszug. Der erste in Richtung Minsk.

Der Bolschewismus sei „die Tyrannei einiger weniger über eine willenlose Masse“, so der stellvertretende Gauleiter von Wien Karl Scharizer in seiner Eröffnungsrede zur „Tatsachen-Schau“ am 13. Dezember 1941. Mit Beginn des Ostfeldzuges rückte die NS-Propaganda das zentrale Feindbild des „jüdischen Bolschewismus“ erneut und mit größter Intensität in den Mittelpunkt. „Das Sowjetparadies“ inszenierte das ideologische Konstrukt der von einer jüdischen Machtelite beherrschten Sowjetunion als voyeuristische Innenschau in einen elenden Alltag der Bevölkerung. Antikommunistische Aversionen, antijüdische Stereotype und alltagsrassistische Vorurteile gegen die slawischen Bevölkerungen schienen im Konstrukt „Sowjetparadies“ durch vermeintliche Beweise bestätigt. Aus dem „Reichskommissariat Ostland“ nach Wien, Berlin und sonst wo hin verpflanzt reihten sich Häuser, Hütten und Baracken entlang verwinkelter, verschmutzter Wegschneisen. Zu betreten war etwa die enge Unterkunft einer Arbeiterfamilie, die ebenso mit Gerümpel angeräumt war wie das finstere Kolchoshaus russischer Bauern. Die ausgestellte Kartoffelrodemaschine einer Motoren-Traktoren-Station wäre schon seit Jahren defekt gewesen. Hingegen verkaufte die staatliche Verkaufsstelle Papieranzüge und ein paar Konservendosen. Das Innere eines Standesamtes, verstaubt und kahl, war mit einem tief gespalteten Bretterboden ausgestattet. Wohl eine Metapher für die sozialen Verhältnisse im Sozialismus. Das Minsker Opernhaus, als Modell, wurde als Prachtbau der „Judenbonzen“ bezeichnet. Im Bretterverschlag daneben hauste der Sowjetbürger. Trümmer eines Lenin-Denkmals. Der Ausstellungskatalog belehrte: ein Massenfabrikat aus Gips und Holzspänen. Ausgeleierte Kastentüren. Zerbrochenes Geschirr. Zerschlissene Bettdecken. Lumpen. Armut und Schmutz der mit diffamierender Absicht vorgeführten Behausungen warfen unweigerlich ein schales Licht auf ihre vermeintlichen, ehemaligen Bewohnern. So, als hätte es vergleichbare Lebensumstände in NS-Deutschland und bei „Ariern“ nicht ebenfalls gegeben. So, als wären solche Notquartiere nicht erst durch die Zerstörungen im Krieg erforderlich geworden. Vorurteile gegen Juden, gegen Slawen, Polen, Russen, „Asiaten“ verschmolzen zum greifbaren Bild des „Untermenschentums“ in besonders anschaulicher Abgrenzung von der „Volksgemeinschaft“ der Deutschen. Im „Sowjetparadies“ konnten „Volksgenossen“ mit dem Finger über kleinbürgerliche Ressentiments streifen und an alltäglichen Abneigungen riechen.

Für Goebbels soll diese Hass-Ausstellung „eines der besten Propagandamittel überhaupt“ bedeutet haben. Der Transport von Feindbildern war ein zentrales Merkmal des Mediums Ausstellung im Nationalsozialismus. In Zeiten zunehmender Lebensmittelverknappung und intensivierter Luftangriffe der Alliierten auf deutsche Städte sollte das „Sowjetparadies“ mit Angst- und Drohszenarien des ökonomischen Nullpunkts einen Beitrag dazu leisten, Front und „Heimatfront“ zusammenzuschweißen, Gleichgültigkeit gegenüber der jüdischen und der Bevölkerung in den besetzten Gebieten zu erzeugen und nicht zuletzt ein Ventil für eine kollektive Aggressionsentladung bieten. Berichte von Soldaten mochten diese Ausstellung angeregt haben. Viele der Briefe von der Ostfront beschrieben die Lebensbedingungen vor Ort aus einer massiv diskriminierenden Sichtweise. „Entseelte Gesichter“ hieß eine Fotomontage in der Ausstellung. Das Stereotyp einer „stumpfen, fast animalischen Zähigkeit“ der Rotarmisten sollte erklären helfen, warum der „tönerne Koloss“ unter der Schlagkraft des deutschen Heeres nicht sofort zusammengekracht war. In der anfänglichen Euphorie beim Angriff auf die UdSSR war das Ende des Ostfeldzuges binnen weniger Monate, ja, Wochen prognostiziert worden. Die Wiener „Sowjetparadies“-Schau entstand noch im Sog dieser „Blitzsieg“-Illusionen.

Unterschätzung der Sowjetarmee

Zum Zeitpunkt der Eröffnung hingegen hatte die Rote Armee bereits ihre Gegenoffensive eröffnet, und die Wehrmacht war vor Moskau katastrophal gescheitert. Das in dieser Ausstellung vermittelte Bild einer rückständigen und verwahrlosten Gesellschaft passte zur totalen Unterschätzung der Sowjetarmee durch Hitler und führende Militärs. Die NS-Propaganda-Ausstellung „Das Sowjetparadies“ wurde mehrmals zum Ziel von Angriffen des Widerstandes. Der folgenschwerste ereignete sich am 18. Mai 1942 im Berliner Lustgarten. Dem Brandanschlag der Gruppe um Herbert Baum folgte innerhalb kürzester Zeit die Verhaftung der meisten Mitglieder und Helfer durch die Gestapo. Bereits am 16. Juli 1942 ergingen die ersten Todesurteile. Herbert Baum überlebte lediglich bis zum 11. Juni. In den NS-Akten wurde Selbstmord angegeben. Die Verhaftung von rund 500 Berliner Juden, die Ermordung von 250 im Konzentrationslager Sachsenhausen sowie die intensivierten Bemühungen von Goebbels um die vollständige Deportation der jüdischen Bevölkerung Berlins wurden in den Zusammenhang dieses Anschlages gebracht. Angesichts der systematischen Ermordung großer Teile der jüdischen Bevölkerung Europas, die in den NS-Vernichtungsstätten bereits voll im Gange war – was für ein Vorwand. Hass-Ausstellungen blieben bis Anfang 1945 im Einsatz der Einschärfung der rassistischen Bilder vom slawischen und jüdischen „Untermenschen“. ■

Dr. phil. Historikerin, Kuratorin. Mitarbeit am Projekt „The Open History Library“ vonClegg & Guttmann an der Universität Wien. Bei Campus erscheint kommendes Jahr ihre Monografie über NS-Feindbild-Ausstellungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2013)

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