Im Takt der Pumpen

Die Kelag baut ein Kraftwerk. In den Hohen Tauern. Und kein Protest in Sicht: Denn heutzutage geht es nicht mehr um die Errichtung einer Riesenstaumauer, sondern um die Optimierung vorhandener Speichersee-Systeme.

Ein halber Meter Schnee kann harte Burschen nicht stoppen. Kurt David, Bauleiter Untertagebau der Kelag, steuert seinen Kia-Allradler auch in der kalten Jahreszeit zügig die glatten Serpentinen der steilen Bergstraße hinauf. Von seinem Hauptquartier am Ortsrand von Innerfragant fährt er zuerst in Richtung Talstation der Mölltaler Gletscherbahnen, wo die modisch-bunten Skifahrer ihr Sportgerät abladen. Einige hundert Höhenmeter weiter sind die Männer ganz anders gekleidet: Jetzt dominieren die grell orangen Arbeitsjacken und die gelben und schmutzig weißen Helme der Mineure und Tunnelspezialisten. Hier drehen sich statt der Skilifte die Betonmischer, den Takt geben nicht Schwünge an, sondern Pumpen. „Der Schnee selbst ist weniger das Problem“, erklärt David. „Es ist der Wind. Immer wieder weht er uns die Straße zu. Deshalb müssen wir auch mehrmals am Tag räumen.“

Im hochalpinen Gelände der Hohen Tauern, etwas östlich des Großglockners, betreibt der Kärntner Energiekonzern Kelag seit mehr als einem Jahr eine Kraftwerksbaustelle. Aber anders als einst die Helden von Kaprun ziehen die Männer in schweren Stiefeln und Helmen keine kühn gebogene Betonwand in die Höhe. Heute gelten andere Prioritäten: Man optimiert intelligent bestehende Speicher und Anlagen.

Zum komplexen System der Kraftwerksgruppe Fragant mit vier Turbinenhäusern und acht unterschiedlich großen Speicherseen, die das Wasser aus verschiedenen Karen sammeln, fügen die Ingenieure auf 1700 Meter Höhe ein weiteres Kraftwerk hinzu. Gespeist wird es von einer neuen Druckleitung, die zuerst 450 Meter senkrecht in den Berg hineinführt und dann fast eineinhalb Kilometer unterirdisch mit leichtem Gefälle aufs Kraftwerkshaus zuläuft. Zusätzlich knüpft man noch eine Verbindung zu einem weiteren Stausee, und einige Kilometer neuer Hochspannungsleitung durch den abschüssigen Wald werden die Energie ans Netz bringen. „Es ist ein Tagesspeicher“, erklärt Bauleiter David. „Mit der Spitzenenergie können wir etwa den schnellen Leistungsabfall von Windparks ausgleichen oder bei erhöhtem Bedarf irgendwo im Netz schnell zuschalten.“ Überdies kann die neue 70-Megawatt-Francis-Turbine auch umgekehrt laufen und Wasser wieder auf 2200 Meter hinaufpumpen. Das macht man in der Nacht, wenn der billige Strom der Laufkraftwerke des Konzerns in den Tälern – an Drau und Mürz – sonst ungenutzt verloren ginge. Damit steht dann im Feldsee-Speicher wieder teure, hochwertige Spitzenenergie zum Abruf bereit. „Veredelung“ nennt die Kelag diesen Vorgang.

Bohren, sprengen, bohren

„Der Bau des Pumpspeicherkraftwerks Feldsee ist unsere größte Investition in den Kraftwerksbau seit fast 20 Jahren.“ So hatte Kelag-Vorstand Hermann Egger vor drei Jahren das 48-Millionen-Euro-Projekt angekündigt. Baubeginn des im langjährigen österreichischen Vergleich mittelgroßen Vorhabens war im Herbst 2006. Ans Netz gehen soll das Kraftwerk zu Jahresende 2008. „Das ist ein sehr enger Terminplan“, weiß der erfahrene Ingenieur David von früheren Projekten. Schon im vorigen Winter haben die Mineure durchgearbeitet. Auch bei größter Kälte zeigt das Thermometer unter Tag Plusgrade – bei extrem hoher Luftfeuchtigkeit. Im Prinzip könnte man einen derartigen Stollen auch mit einer Vortriebmaschine graben, wie sie für U-Bahn- oder Straßentunnels verwendet werden. Aber das hätte sich hier nicht gerechnet. Für kaum eineinhalb Kilometer Stollen zahlt es sich nicht aus, die gewaltige Maschine zerlegt auf den Berg zu transportieren und dort zusammenzubauen. „Deshalb haben wir einen konventionellen Vortrieb gemacht“, so Bauleiter David.

Das bedeutet: bohren, sprengen, bohren. Eine knallgelbe Bohrmaschine arbeitete ganz vorne im Stollen mit ohrenbetäubendem Lärm Löcher in den Fels. Rundum spritzte Wasser von der Decke. Dann hieß es wieder Rückzug für die Mineure: Vier bis fünf Sprengungen gab es pro Tag, und wenn alles gut ging und keine allzu harten Gesteinsschichten im Weg lagen, konnten sich die Spezialisten der Alpine-Mayreder in 24 Stunden fast um 50 Meter in den Berg fressen. Es blieb die uralte, bange Frage, die sich Bergleuten seit je stellt: Hält das Gebirge? „Immer wieder haben wir hier kleinere Störungen erlebt“, erklärt der Bauleiter über heiklere Phasen. „Manchmal ist das Gestein weniger fest, und man muss Anker setzen und abdichten. Aber das war nicht wirklich gefährlich, wir haben das im Griff.“

Der Berg wurde nicht nur von einer Seite durchlöchert. Während die Bohrer und Sprengmeister ihren Stollen schräg in den Fels trieben, saß hoch über ihnen ein einsamer schwedischer Hüne wochenlang in einem Container und wartete auf seinen regelmäßig wiederkehrenden Einsatz. Von der Sohle des leer gepumpten Speichers Feldsee aus wird später einmal das Wasser durch einen Schacht senkrecht in die Tiefe schießen. Während der Bohrarbeiten im Sommer sah der Boden des Sees aus wie eine braune Mondlandschaft, nicht unähnlich riesigen Tagbauminen in Ostdeutschland oder Brasilien. Kein Gräschen, keine Alge ist hier gewachsen, das Wasser hat schließlich auch im Sommer kaum mehr als fünf, sechs Grad. In der Mitte dieses trockenen Sees betrieb das schwedische Spezialunternehmen Bergteamet sein Baulos: eine orangefarbene Bohranlage, kleiner als ein Siedlungshaus, daneben ein blauer Container mit Glasfenster, aus dem der Maschinenführer kritische Blicke auf die Anlage warf. Zweimal in der Stunde kam er heraus, nahm eine Kabelfernsteuerung in die Hand, hob mit einem kleinen Kran ein neues, eineinhalb Tonnen schweres Bohrgestänge auf, drehte es und setzte es über dem Bohrloch an. Die Maschine schraubte es automatisch am darunterliegenden fest, und schon wurde hydraulisch weitergebohrt.

30 Zentimeter Durchmesser hatte die Pilotbohrung, und als sie in etwa 450 Meter Tiefe planmäßig auf den konventionell vorgetriebenen Stollen getroffen war, wurde am Gestänge ein Fräskopf befestigt. Dieser vergrößerte dann von unten nach oben das Loch auf den Durchmesser von 3,60 Metern. Die Methode wird von der Kelag zum ersten Mal eingesetzt, bei internationalen Kraftwerksprojekten ist sie bereits Standard. Alpine-Mayreder hatte einst selbst eine darauf spezialisierte Abteilung, aber mangels Auslastung verkaufte man sie an die schwedische Bergteamet und gibt jetzt an diese die Subaufträge weiter.

Es war eine einsame Arbeit hier heroben in den Alpen, und sie ging rund um die Uhr. Auch in der Nacht legte der Bohrtechniker alle 30 Minuten seine neuen Segmente nach. Mittlerweile sind die Schweden nach Hause gefahren, im Winter betonieren die Alpine-Arbeiter den Schacht aus, mit runden Schalungen, die von unten senkrecht nach oben weiter wandern. Auch heuer werden die Mineure im Stollen wie im Vorjahr – mit Ausnahme der Weihnachtsferien – den ganzen Winter am Werk sein. Drinnen im Gebirge hat es acht bis zehn Grad, egal welche Jahreszeit. Und beim Betonieren wird es kurzzeitig immer wieder richtig heiß: Wenn der Beton aushärtet, erreicht die Temperatur in der Umgebung sommerliche 25 Grad.

Eigene Lawinenkommissionen

Das Problem ist nur die Zufahrt. „Im Vorjahr haben wir es gut gehabt, mit dem milden Winter“, erklärt Bauleiter David. „Aber es hat auch deutlich härtere gegeben. Wir liegen hier an einer Wetterscheide, da kann es sogar im August über Nacht kräftig schneien.“ Die steile Bergstraße ab der Zufahrt zu den Mölltaler Gletscherbahnen räumt die Kelag selbst den ganzen Winter lang, mit einem normalen Schneepflug, wenn es ärger wird, mit einem allradgetriebenen Lader mit vier Ketten. Eigene Lawinenkommissionen sorgen für Sicherheit. Baut sich irgendwo ein Schneebrett auf, wird es kontrolliert abgesprengt, wie sonst rund um die Skigebiete und hochalpinen Dörfer. Heuer war es noch nicht notwendig. Aber die täglichen Inspektionen erfolgen penibel.

Seit die Stollen durchgeschlagen sind, werden sie ausgekleidet. Und hier geht man erstmals neue Wege. Daran ist der hohe Stahlpreis schuld. Gemeinsam mit der Technischen Universität Graz hat man ein System von mächtigen Glasfaser-Rohren entwickelt, die innen mit Beton verkleidet werden und gegen den Berg ebenfalls mit Beton hinterfüllt. Nur die letzten paar hundert Meter vor dem Kraftwerkshaus baut man mit konventionellen Stahlrohr-Segmenten.

Lastenverkehr minimieren

Um den Lastenverkehr zu minimieren, mischt sich die Baufirma den Beton selbst am Berg, mit zermahlenem Abraum aus den Stollen. Das hat auch bei der Umweltverträglichkeitsprüfung geholfen, die Kraftwerksplaner stoßen mittlerweile immer öfter an die Grenzen ihrer Wünsche. „Hier hat es keine Probleme gegeben“, erinnert sich David. „Aber wir nutzen ja bestehende Speicherseen, und der Kraftwerksbau in dem engen Tal hat niemanden besonders gestört.“ „Mit diesem geschlossenen Wasserkreislauf greifen wir nicht in den natürlichen Wasserhaushalt ein. Das Pumpspeicherkraftwerk Feldsee ist also sehr umweltverträglich“, so auch Kelag-Vorstand Egger.

Etwa 70 Mann arbeiten in der Hochsaison an dem Projekt, im Winter wird auf 30 Mann zurückgefahren. Wenn das Kraftwerkshaus im kommenden Frühjahr fertiggestellt wird, dürfte die gesamte Baustelle rund 100 Mann beschäftigen. Siemens/VaTech wird die Turbine und Alstom den Generator liefern. Die zusätzlichen 157 Millionen Kilowattstunden Spitzenstrom, die das Kraftwerk Feldsee ab Ende 2008 jährlich liefern soll, erhöhen die gesamte Stromerzeugung der Kelag um rund 15 Prozent.

Dann wird wieder Ruhe einkehren am Berg. Nur wenn die Turbine anfährt, wird eine kurze, heftige Erschütterung zu spüren sein, und dann schießt das kalte Wasser unterirdisch durch seine mächtigen Röhren. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2008)

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