Lamperl und Leopard

„Manchmal leide ich unter dem Freezing-Phänomen: Ich will losgehen, bin aber wie eingefroren. Dann sage ich mir, jetzt kommt der schiachere Teil des Lebens.“ Stefan Weber, Gründer der Anarcho-Rockband „Drahdiwaberl“, über seine Parkinson-Erkrankung, Falco, Ketchup und den „Life Ball“.

Ein winterkalter Frühlingstag, ein Eissalon im 5. Bezirk. Stefan Weber, 61, unverkennbar: schwarzer Hut, schwarzer Mantel, mit Totenköpfen bedrucktes Halstuch, schwarz gefärbte Haare. Er isst Tiramisu, seine Hände sind ruhig, sein Oberkörper wippt vor und zurück. Er leidet an Parkinson – seit zwölf Jahren. 30 Stunden später: Stefan Weber im Smoking. Er läuft mit Trippelschritten über die Bühne des Gartenbaukinos, wirft sich zu Boden und macht 15 Liegestütze, die in einen Kopulationsakt übergehen. Sein Film hatte Galapremiere: Die Story von Stefan Weber, seiner Rockband „Drahdiwaberl“ und ihrem Traum von der Weltrevolution. Ein Stück Zeitgeschichte. Als Spiritus Rector von Österreichs wüstester Schock-Anarcho-Rockband hat der ehemalige Mittelschullehrer Sexorgien veranstaltet, Torten und tote Hühner ins Publikum geschleudert, Ketchupschlachten geliefert und sein Publikum mit urinfarbenem Wasser bespritzt.

Trotz seiner körperlichen Behinderung gibt er nicht auf – weder seine Träume noch seine politische Schärfe, seine Fans und schon gar nicht seine Lust am Liederschreiben. Sogar seine Krankheit baut er als „Drahdiwaberl“-Kunstwerk in sein Leben ein und singt: „I will a Dauererektion, i scheiß auf meinen Parkinson.“ Sein nächster Auftritt: beim Wiener Life Ball.

Stefan Weber, warum treffen wir uns ausgerechnet in diesem Eissalon?

Weil hier der Cappuccino gut ist. Es ist auch halbwegs ruhig. Ich tu mir momentan mit dem Sprechen schwer, ich warte auf meine neuen Zähne. Sie sind nicht im Glas, sondern noch in Ungarn – Sopron.

Nach dem Film über Falco gibt es nun auch einen von Ihnen, über Sie und Ihre Band „Drahdiwaberl“. Sie erhielten seit der Uraufführung beim Filmfestival in Rotterdam bereits Anfragen von 18 Filmfestivals weltweit. Außerdem treten Sie samt Band beim Wiener Life Ball auf. Sie sind immer wieder im Kommen. Wie machen Sie das?

Ich war nie weg. Seit Gründung der Band,1969, hat sich nichts wirklich geändert in diesem Land. Meine Texte sind gültig, auch wenn man mich als Altachtundsechziger abstempelt. Lieder, die ich vor 20, 30 Jahren geschrieben habe, sind immer noch hochaktuell. Ich sage nur: der Fall F. in Amstetten. (Singt:) „Komm doch Mädi und schau her, ich bin der Bussi Bussi Bär. Ich bin doch nicht pervers, ich bin doch nicht verrückt, für mich ist es ein Kavaliersdelikt... Bei der Kleinen lieb und fein, ich könnt ja deren Opa sein, bricht's heraus aus mir, das wilde Schwein.“ (Spricht:) Dieses Kinderverzahrerlied ist aus dem Jahr 1996, damals war F. schon aktiv.

Ihre Shows sind wild, provokant, aggressiv, lustig und wüst. Nach welcher Dramaturgie laufen sie ab?

Unser Prinzip ist: der Kasperl, der das Krokodil haut. Das Krokodil ist die Politik. Die Texte schreibe ich. Man wirft mir vor, zu sehr mit dem Holzhammer. Aber mit feiner Klinge, zart und schön gestochen formuliert, verstehen es die Leute nicht. Wir hatten nie Zeit für ernsthafte Proben. Exzess, Tabubrüche und kreatives Chaos waren das Ziel. Blut ist nie geflossen – bei mir ist alles Fake. Wenn Verletzungen vorgekommen sind, dann unfreiwillig. Bei einem Auftritt in Budapest zum Beispiel machte ich stage diving und bin, wie schon öfter, in die dicht gedrängte Menge gesprungen, normalerweise wurde ich aufgefangen, aber die Ungarn sind erschrocken auseinandergewichen. Eine Art Konzept gab es nur für die Tourneen – weil dann die Zahl der Mitwirkenden beschränkt war. Sonst waren wir eine offene Band und haben viele Wiener Originale und auch Leute, die grad aus Steinhof gekommen sind, auftreten lassen.

Auch prominente österreichische Musiker sind durch Ihre Band gegangen, als Mitglieder oder als Gäste – von der Jazz Gitti über Heli Deinböck bis hin zu Falco. Der hat zum Teil aus den „Drahdiwaberln“ seine Band rekrutiert. Was für ein Gefühl ist es, wenn plötzlich so ein Weberischer Weltstar wird?

Ich war nie neidig und dem eigenen Erfolg gegenüber immer ambivalent. Ich wollte berühmt sein und auch nicht. Der Falco ist früher immer irgendwo im 5. Bezirk herumgesessen, das konnte er nach seinem Aufstieg nicht mehr. Er ist wohl auch PR-mäßig „gemacht“ worden, aber wie er einen Song gebracht hat, das war schon einzigartig. Was mich heute ankotzt – jetzt schweife ich ab –, ist, wenn andere versuchen, wie Falco zu klingen oder wie er herumzuhopsen. Dann bricht in mir der Aktionismus durch und ich schütte Kübel voller Müll in die Schickimickiabteilung in der ersten Reihe. Mitten hinein in die reichen Bürgertöchterln mit ihren weißen Blusen.

Was brachte Sie auf die Idee eine Anarcho-Rockband zu gründen?

Ich wollte immer Rockstar werden, so wie der Gusenbauer Bundeskanzler. Schon in der Schule war ich der Kasperl, der Oberinszenierer von Spaß; beim Skikurs, habe ich Rocksänger imitiert, den Elvis und viele andere hatte ich total drauf. In der achten Klasse habe ich eine Band gegründet, ohne Geld. Der Schlagzeuger hat mit zwei Bleistiften getrommelt. Eines war immer klar, die Kunst die ich machen werde, muss hart sein, meine Band muss die wildeste von Österreich sein.

Ihr zweiter Jugendtraum war, London niederzureißen.

Wir sind in London aufgetreten, aber anders, als wir es uns vorgestellt hatten. Wir hatten für 30 Leute Flug und Hotel gebucht. Ein Lokal, in dem wir auftreten sollten, ist vorher eingegangen, ein zweites, das Astoria, wollte uns nicht. Der Geschäftsführer fürchtete, dass nach unserem Auftritt das Ketchup an den Wänden pickt. Wir sollten unter dem Namen „Chainesawmassacre“ hineingeschmuggelt werden, aber der Schwindel flog auf, wir flogen raus und haben stattdessen eine echte „Drahdiwaberl“-Show auf der Oxford Street gemacht. Wir trugen die Masken der englischen Königsfamilie, auch Prinz Charles ließen wir auftreten – mit offenem Hosentürl, Gummischwanz und der englische Fahne drangesteckt. Die Leute waren begeistert

Die Kunstszene der Sechzigerjahre war vom Wiener Aktionismus geprägt. Hat das die „Drahdiwaberl“-Show beeinflusst?

Blut und Beuschel und das Zeug kamen schon vom Aktionismus. Brus, Nitsch, Mühl & Co waren eine Generation vor mir. Sie hatten ihren eigenen Kreis, ich war nur am Rande dabei. Zwei harmlose Aktionen habe ich miterlebt, da haben sie sich noch mit Malfarben und Mehl bekleckert.

Nitsch wollte mit seinem Orgienmysterientheater eine Katharsis im Publikum auslösen. Was will das Orgienrocktheater der „Drahdiwaberl“?
Nitsch setzte immer auf den Rausch der Sinne, allerdings verbrämt mit pseudoreligiösem Quatsch und mit viel Alkohol, weshalb man sich nachher an nichts mehr erinnern kann. Ich bin kein gläubiger Mensch, und Religion dient mir nur für die Show, um darzustellen: Die gehören zu den Bösen. Überhaupt ist bei uns – im Gegensatz zu einem Otto Mühl – alles Show. Dazu kommt, dass 1969 die große Zeit des Underground war, vor allem in London. Dort erlebte ich die linke „Edgar Broughton Band“ und somit das Wildeste, was mir je untergekommen ist. Die haben alles zertrümmert.

Was ist das für ein Kitzel, die Menschen zu schockieren?

Zum einen halte ich es mit einem abgewandelten Frank-Zappa-Zitat: Kein Spektakel kann aggressiv, blutig und hässlich genug sein, um zu zeigen, wie schiach es in der Welt zugeht. Wir wollen braven Spießern den Spiegel vorhalten, damit sie sehen, was in ihnen alles an Grausigem steckt. Zum anderen geht um den eigenen Ausdruck. Das Grausame fasziniert mich. Ich lasse es zu – auf der Bühne. Als Kind war ich leicht lenkbar und hab mich auch anstandslos zum Milchholen schicken lassen. Mein Vater bringt es auf den Punkt, er sagt, dass ich im Herzen ein sehr netter Kerl bin, ein Lamperl, aber Leopard sein will, und um das zu kompensieren, muss ich auf der Bühne den Wilden heraushängen.

Welche Rolle spielt Ihr Elternhaus für Ihre Entwicklung?

Mein Vater war Kommunist, meine Mutter Kommunistin, aber nur ihm zuliebe. Sie war völlig unpolitisch und unglücklich, dass er sich damit seine Karriere versaut hat. Er hätte Unterrichtsminister werden können, brachte es aber bloß zum Prorektor an der Angewandten. Ich habe am Schillerplatz Grafik studiert, und ich hatte auch Schwierigkeiten – allerdings mit dem Lehrer, der nur abstrakte Kunst akzeptiert hat, während ich fürs Gegenständliche war. Die Diplomprüfung fürs Lehramt habe ich an der Angewandten abgelegt.

Nachts waren Sie als exzessiver, Sexorgien simulierender Rockmusiker unterwegs, am Tag haben Sie sich in das enge Korsett der Schule gezwängt und Werken und Zeichnen unterrichtet. Ist das nicht schizophren?

Obwohl das Schulsystem teils sehr schlimm ist, hat man als Künstler Narrenfreiheit, außerdem ist der Gegenstand Zeichnen verspielter. Das galt jedenfalls für das Gymnasium Waltergasse. Ich gestehe, ich war kein sehr engagierter Lehrer – meine Erfolgserlebnisse habe ich ja woanders gehabt.

Sie haben das Silberne Verdienstzeichen des Landes Wien erhalten. Das passt zu Ihnen wie die Faust aufs Aug.

Wenn man sich verweigert, erfährt das niemand, aber wenn man ein Spektakel daraus macht, zieht das Kreise. Leider hat der Auftritt nicht ganz geklappt, er war viel zu harmlos. Wir haben Torten geworfen, aber keine hat Grete Laska getroffen.

Ihr Film „Weltrevolution“ endet mit einer Szene im Club der „peinsamen Schmerzen“: Allein auf leerer Bühne besingen sie die Mühen des Parkinson. Wie gehen Sie im Alltag mit Ihrer Krankheit um?

Anfänglich war ich nur verlangsamt, das hat mich nicht gestört. Ich habe mir gesagt, das ist eh a gute Krankheit, weil sie nicht wehtut, sie ist nicht so schlimm wie Krebs oder Multiple Sklerose. Seit zwei, drei Jahren ist es schwierig: 20 Medikamente pro Tag, Müdigkeit, Einschlafstörungen. Jetzt muss ich mich bemühen, aufrecht zu gehen, aufrecht zu sitzen. Mein Rücken beugt sich, und manchmal habe ich das Freezing-Phänomen, ich will losgehen, bin aber wie eingefroren. Dann sage ich mir, jetzt kommt der schiachere Teil des Lebens. Aber auf der Bühne, wenn der Adrenalinspiegel steigt, fühle mich wieder stark. Mein Lebensgefühl ist nach wie vor, die Dinge locker zu nehmen. Carpe diem.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten . . .

. . . wünschte ich mir einen wuchernden Haarwuchs zu den superschönen Zähnen aus Ungarn. Kurz: Aussehen wie der Hansi Hinterseer. ■

STEFAN WEBER: Zur Person

Jahrgang1946, geboren in Wien. Grafikstudium an der Akademie der bildenden Künste, 1970 Lehramtsprüfung. Anschließend Lehrer für Werkerziehung und bildnerische Erziehung am Bundesrealgymnasium in der Wiener Waltergasse.

1969 Gründung der Band „Drahdiwaberl“, die rasch zu einer der bekanntesten Underground-Gruppen Österreichs wurde. 2005 Amadeus-Award für das Lebenswerk.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2008)

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