Das Glück in der Kellergasse

Neun Gemeinden zählt die Kleinregion Wagram, verstreut zwischen Kamptal und Tulln, vier davon hat Luzia Nistler mit ihrer Kellergassen-Compagnie in den vergangenen Sommern schon aufgesucht. Über die Lust am Theater, „Henrietten-Laberln“ und ein Happy End, wie's nicht im Lustspielbüchel steht.

In der Kellergasse geht's um. Dass Herr von Hasenkopf seiner Tochter Henriette einen Bräutigam verordnen will, der ihr so gar nicht zu Gesicht steht, ist noch das geringste seiner Probleme, wo doch eine ganze Heerschar von Geistern, namentlich die Trud, allnächtlich durch sein Schlafzimmer poltert. Und das wiederum steht, als könnt's gar nicht anders sein, mitten im Mayrgraben zu Oberstockstall, an dem entlang sich die Keller der Oberstockstaller Weinbauern auffädeln, hinauf, dem Kirchenfeld zu. Das freilich liegt schon im Nachbardorf Engelmannsbrunn, und Engelmannsbrunn ist vielleicht ein andermal an der Reihe, dass die Kellergassen-Compagnie des Sommers Station macht, so sich in Engelmannsbrunn eine theatralisch geeignete Kellergasse findet, so die Engelmannsbrunner und die Kellergassen-Compagnisten es so wollen.

Neun Gemeinden zählt die Kleinregion Wagram, verstreut zwischen Kamptal und Tulln, vier davon hat Luzia Nistler mit ihren kellergassalen Aktivitäten in den vergangenen Jahren heimgesucht: „Ich wohne in der Gegend, und weil ich sehr viel in der Landschaft herumstrolche, sind mir wunderbare Plätze aufgefallen und zu diesen Plätzen, weil ich eben vom Theater komme, auch wunderbare Stücke, die genau dorthin passen“, erläutert die aus Tulln gebürtige Schauspielerin, Sängerin und Regisseurin, die vielen nicht zuletzt mit ihren Auftritten in Musicals in Erinnerung ist. „Parallel dazu gab es einen Wettbewerb, wie man unsere Kellergassen interessanter machen kann; ich hab die Idee des Kellergassentheaters bei der Dorferneuerung vorgestellt – und das kam sehr gut an.“

Einige verwaltungstechnische Umwege später, vor vier Jahren, wurde aus der Idee Wirklichkeit. Und in der Kellergasse zu Absberg ging „Der Brandner Kaspar und das ewig' Leben“ in Szene. „Wir wollen nicht irgendwelche Kulissen aufstellen. Unser Thema war vom ersten Tag an: Was kann ich so in eine Kellergasse setzen, dass ich mir das Umfeld zunutze mache.“ Nachsatz: „Das ist eine große Herausforderung, weil man ja gezielt Stücke suchen muss, die das erfüllen.“ Im Übrigen sei die Skepsis in den Gemeinden am Anfang durchaus groß gewesen: „Erst hat es geheißen: Wer san de, was woin de, brauch ma des? Man schaut verständlicherweise zunächst in viele fragende Gesichter.“ Die sich allerdings alsbald erhellen, sieht man sich erst von jenen, die vielleicht zunächst eher als bühnennarrische Aliens empfunden werden, in den eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten wahr- und ernstgenommen: „Wir beziehen ja all die Weinbauvereine, auch die anderen Vereine aus den jeweiligen Orten ein. Die Gastronomie wird aus den Dörfern selbst gestellt, und wir bestärken die Leute, etwas für die Region Typisches anzubieten: Kochts selber – und kochts wie für euch. Das kommt gut an.“

Im Mayrgraben zu Oberstockstall beispielsweise werden heuer „Hasenkopfs Leibspeise“, „Henrietten-Laberln“ und „Truden-Strudel“ aufgetischt, und dass von all dem in Philipp Hafners Lustspiel „Der Furchtsame“ weder im Altwiener Original noch in der neuwagramischen Adaptierung durch Susanne Wolf die Rede ist, versteht sich fast von selbst. Wie ja auch Herr Hafner, irgendwo im Übergang zwischen Barock und Aufklärung zu Hause, sich einigermaßen wundern würde, eines seiner zumindest vorstädtisch gedachten Stückeln im zutiefst Ländlichen aufgeführt zu sehen. Je nun, Herr Hafner, keine 30 Jahre alt 1764 in seiner Geburtsstadt Wien gestorben, wird's andererseits nicht übel nehmen; schließlich, so weit ist der Sprung ja wiederum nicht von den Wiener Vorstädten des 18. Jahrhunderts vor eine Zuschauertribüne, unter der im Fall des Regenfalles der Kellergassenbach durchrauscht. „Ja, der Tribünenbau, der ist immer wieder eine besondere Herausforderung“, gesteht Luzia Nistler ein. Schließlich gelte es, Gefälle und Unebenheiten aller Arten auszugleichen – oder eben, wie dieses Mal, einen Wasserlauf zu überbauen. „Während der Probenzeit, bei einem der schweren Gewitter dieses Sommers, hat es auch den Keller überschwemmt, den wir als Schauspielergarderobe verwenden. Zum Glück ist nichts auf dem Boden gelegen.“

Wer mit seiner Kunst gern nah der Natur ist, der bekommt eben fallweise zu spüren, dass auch ein solides Theaterdach über dem Kopf seine Vorzüge hat. Oder ein angenehm temperierter Bereich, in dem die Schauspieler auf ihren Auftritt warten können: Die Kellerkühle, die dem Wein so wohltut, wird von jemandem, der hier halbstundenlang seines Stichworts harrt, gewiss nicht ganz so wohltuend empfunden. Doch dann, endlich auf offener Bühne, hinter dir eine der schmuckeren jener vielen schmucken niederösterreichischen Kellergassenfassaden, vor dir ein sommerlich geneigtes Publikum, über dir, kaum wagt man es zu auszusprechen, nichts als das Sternenzelt – Sentiment hin, Sentiment her, das muss schon etwas Besonderes sein.

„Dieses Miteinander, so stell ich mir Theater vor“, meint Luzia Nistler. Und: „Es ist so schön, wenn die Kellerbesitzer, die uns vor drei Jahren den Keller zur Verfügung gestellt haben, mit dem Radl zur neuen Spielstätte kommen und sagen: Ich wollt nur schaun, obs was brauchts. Mir taugt das. Alleine geht's eben nicht, man braucht immer den anderen.“ Die Zeiten, da man erst intensive Überzeugungsarbeit leisten musste, die scheinen jedenfalls vorderhand vorbei: „Es gibt mittlerweile schon Gemeinden, die fragen, wann kommt ihr wieder zu uns. Oder: Kommt ihr zu uns auch?“ Größer wolle man sicher nicht werden: „300 Personen schaffen wir, mehr ist nicht gut, weil wir ohne Verstärkung spielen.“ Schließlich solle doch, siehe oben, „alles so natürlich wie möglich sein“. Auch am Prinzip der wechselnden Austragungsorte wolle man nichts ändern: „Wir haben uns ja zum Ziel gesetzt, die ganze Kleinregion Wagram zu fördern.“ Und außerdem: „Jede Gemeinde ist anders finanziell belastbar. Wenn wir da jedes Jahr in derselben Gemeinde wären, dann wäre das für manche sicher schwierig.“

Im Mayrgraben zu Oberstockstall ist mittlerweile tiefe Nacht eingefallen. Henriette hat ihren Liebsten gekriegt, und der Geist Herrn Hafners hat das Happy End, wie's gar nicht in seinem Lustspielbüchel, nur in Susanne Wolfs Bearbeitung steht, höchstpersönlich abgesegnet. Der Diener Hanswurst kriegt seine Dienerin Lisette, der Wind rauscht durch die Kellergassenwipfel, der Applaus rauscht auch. „In der Kellergassen, / i kann's gar net fassen, / sitz i ganz verlassen / auf an Stan“, klagte einst ein Wienerlied. Ach, was wissen schon die Wiener. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2016)

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