Cherchez l'homme!

Während Männer nach Asien reisen, wo sie die sanfte, nicht fordernde Frau erwartet, begeben Frauen sich nach Afrika, Arabien und in die Karibik, wo die Männer im Ruf stehen, groß und stark zu sein. Weiblicher Sextourismus: eine Bestandsaufnahme.

Was in den Fünfzigerjahren mit dem Gigolo an den Ferienstränden Italiens begann, war die Frühform des weiblichen Sextourismus. In Gambia heißen sie „Bumster“, in Tunesien „Business“, in Marokko und anderswo „Beachboys“. Der englische Wikipedia-Eintrag zu „female sex tourism“ liefert eine Sammlung von Benennungen, nach Ländern geordnet. ´


Nicht mehr ganz jung, nicht mehr ganz attraktiv, alleinstehend oder auf Eheerholung, aber mit ordentlich bemessenem Urlaubsbudget ausgestattet: Das sind die Touristinnen/Kundinnen/Liebhaberinnen – die Grenze ist fließend. Wo die Sandstrände kilometerlang und die Sonne ganzjährig heiß, wo die Werbung auf den Zusatz „Paradies“ nicht verzichten kann, dort finden die glokalisierten Sexmärkte statt, in sozialwissenschaftlichen Diskursen inzwischen „Sexscapes“ genannt – Dank an den indischen Anthropologen und Globalisierungstheoretiker Arjun Appadurai. Mittlerweile wird die Dienstleistung rund um den Erdball feilgeboten, überall, wo Frauen aus reichen, nördlichen Regionen in ärmeren, südlichen Gebieten die Ferienbettenburgen füllen, in Jamaica sowieso, am Roten Meer, im Indischen Ozean, in südostasiatischen, mittelamerikanischen, pazifischen Inselwelten. Noch auf der kleinsten Karibikinsel gestaltet sich das Angebot gemäß der Nachfrage.
Und wo blüht die lesbische Variante? Erraten, auf Lesbos, aber auch andernorts, selbst in Marokko. Dort kann es einer Ausländerin, die nichtsahnend allein durch eine abendliche Stadt spaziert, geschehen, dass ihr eine Frau empfohlen wird – so sie das Drängen eines Herrn, sie zu begleiten, zurückweist.


Anders als beim männlichen Sextourismus wird nicht zurückgegriffen auf eine ausgewiesene, beschilderte Industrie in Form von Clubs, Bordellen, Nachtlokalen, Shows. Noch gibt es keine organisierten Touren, wenngleich etwa in den Flugzeugen nach Mombasa merkwürdig viele allein reisende, unternehmungslustig wirkende Urlauberinnen sitzen. Die Kontaktaufnahme erfolgt auf informelle Weise, am einfachsten in Bars, Hotelhallen, am Strand. Jeder Profi erkennt eine potenzielle Interessentin auf Anhieb und verliert keine Zeit damit, irrtümlich eine Mutti anzupeilen, deren Familie bloß einmal kurz abwesend ist.


Ob an den Stränden in Asien, Afrika, Amerika: Die männliche Eskorte erweckt im Allgemeinen den Eindruck, deutlich, sehr deutlich jünger zu sein als die erkorene Dame. Für jedes Alter finden sich Anwärter, 80-jährige Urlauberinnen genießen die Aufmerksamkeiten eines 60-jährigen Begleitschutzes. Die erotische Attraktivität des Geldes – an den Flaniermeilen der Reiseländer beweist sie sich täglich aufs Neue.
Und die Bezahlung? Erfolgt auch informell. Hie Sexarbeit, hie Geld, nein, so läuft es selten. Da gibt es Provisionen, Kommissionen, Vermittlungsgelder und Geschenke von Konsumgütern, die man verkaufen kann, und noch nachträglich Überweisungen aus dem Ausland für Operationen und Krankenhausaufenthalte armer, alter Mütter, für die Schulgelder bildungswilliger Schwestern, Western Union macht's möglich. Zuweilen mag sich das auf der Geberinnenseite mit einer Helfermentalität vereinen, Liebe gegen Bezahlung, getarnt als private Entwicklungszusammenarbeit, als direkte Spende, nichts bleibt bei einer NGO hängen, Wohlfahrt auf individueller Ebene als moralisches Mäntelchen für die Ware Sex. Und immer ist auch die Romantik dabei. Sie sind Kavaliere, diese Dienstleistungsanbieter, stets gut gelaunt, immerzu charmant, kein Alltag weit und breit. Kurze Urlaubswochen lang vermag die Erotik Differenzen zu überwinden, die Differenzen von Kultur, Alter, Bildung, Religion. Sie sagen „Ich liebe dich“ in vielen Sprachen, sie tun so, als würden sie kein Geld nehmen, bloß hie und da ein kleines Geschenk. Sie würden die Bezeichnungen Sexarbeiter, Prostitutierter entrüstet von sich weisen, so wie auch die Konsumentinnen nicht Sextouristinnen sind, sondern einen Urlaubsflirt erleben, ein bisschen teuer, aber man gönnt sich ja sonst nichts.
Mancherorts mögen sich die männlichen Motive aus mehreren Faktoren zusammensetzen. In Ländern mit repressiver Sexualmoral, wo die Frauen wegen geforderter Jungfräulichkeit vor der Hochzeitsnacht unzugänglich sind, verbinden junge Männer im Dienst an der Völkerverständigung das Angenehme mit dem Nützlichen, wenngleich sie ihre diesbezüglichen Aktivitäten vor der Familie zu verheimlichen trachten.


Und dann ist da natürlich der Wunsch, nach Europa zu kommen oder auch nach Nordamerika, nach Japan oder in irgendein anderes kaltes Wirtschaftswunderland. Der zweitwichtigste Satz (nach dem obligaten „Ich liebe dich“) im frankofonen Afrika: „Tu me fais les papiers?“ – Machst du mir die Papiere? Afrikas Männerwelt hält Ausschau nach einer Freierin, die bereit ist, Visum und Aufenthalt zu organisieren und zu bezahlen, und bis sie gefunden ist, wird gespart auf den Transfer. Wenn im subsaharischen Afrika der Tourismus nach der toten Phase der Regenzeit im Oktober wieder beginnt, sehen auch die Heiratsmärkte des Kontinents der Hochsaison entgegen.


Dass die Motive der einheimischen Männer wenig mit Romantik zu tun haben (wenngleich sie sich das zuweilen einreden mögen), aber viel mit ihrer ökonomischen Minderbemitteltheit, ist allein schon deswegen bewiesen, weil die Ströme von Sextouristen ja nicht in die Industriestaaten hinein, sondern aus diesen heraus fließen. Die bilaterale Sexscape-Leistungsbilanz erstellt sich immer nach dem gleichen Prinzip: Die reichen Länder importieren Sexarbeiter und exportieren Sextouristen.
Den gut gebauten, jungen Männern in Rasta-Dreadlocks, die in Costa Rica für die Touristinnen zuständig sind, erscheint die Idee absurd, allein reisende Frauen könnten nicht auf Abenteuersuche sein – so die Anthropologin Susan Frohlick, die auf der Karibikinsel den weiblichen Sextourismus erforschte. Solche Ansichten können sie nur äußern, weil sie auf die entsprechenden Erfahrungen zurückblicken. Inzwischen finden sich in manchen Urlaubsgebieten, den Hochburgen des Business, wo die Entwicklungen am weitesten gediehen sind, wie auf Jamaica und anderen Karibikinseln, längst auch hochprofessionelle und ganz offene Offerte, wobei der Anbieter seine körperlichen Vorzüge preist. Gleich bei der Kontaktanbahnung wird von Geld gesprochen. Die Tarife steigen mit dem Alter der Konsumentin und mit der Jugend des Sexarbeiters, das wird international so sein. Die infrastrukturelle Erschließung schreitet voran, vielleicht existieren mittlerweile ja auch schon Online-All-Inclusive-Angebote und Flat-Rates.


Gängige Bezeichnungen wie Romance-Tourism, romantischer Tourismus, Romanze-Tourismus sind bloß ein Euphemismus. In Frohlicks Studie ist auch die Rede von Kinderarbeit, von Dreizehn- und Vierzehnjährigen, die nächtlich an die Strände abgeschleppt werden, von weiblichen Sexualstraftätern also, die vor Ahndung weitgehend sicher sind, denn vor Übergriffen geschützt werden eher Mädchen als Knaben. Die Rede ist auch von Einheimischen mit übers Jahr allnächtlich wechselnden Genossinnen. Auf der weiblichen Seite steht die Verwirklichung von Ethnosexfantasien – Afrikaner, Afroamerikaner, Araber genießen den Ruf, gut ausgestattet und ausdauernd zu sein, Exotismus als Spielart des Rassismus.


Parallelen zum männlichen Sextourismus? Die Kundschaft aus dem nördlichen kalten Industrieland ist der ältere Teil des Paares. Der/die Ältere zahlt. Der/die Jüngere aus dem sonnigen, wenig entwickelten Land hat keine andere, bessere, lukrativere Arbeit. Und zwingend: kann sich aus Eigenem keine Reise ins Herkunftsland der Kundschaft leisten. Einen wesentlichen Unterschied gibt es zwischen weiblichem und männlichem Sextourismus: Letzterer ist illusionsloser. Und während beim männlichen Sextourismus im gesellschaftlichen Diskurs kein Zweifel besteht, wer Täter und wer Opfer ist, sind im Falle weiblicher Konsumenten Rollen und Normen weniger eindeutig, auch können beide Teile des Paares Täter und Opfer zugleich sein, manchmal belügen beide sich selbst und einander.


Den ethischen Aspekt auf die Spitze getrieben hat Michel Houellebecq, Meister des Zynismus, indem er eine „Plattform“ für den Sextourismus erfand. Seltsame Allianzen ergaben sich in der Kritik des Machwerks, Menschenrechtler, Touristiker, Feministinnen, Muslime zogen gegen ihn ins Feld. Dabei will er im Text nichts weniger als die Weltprobleme beseitigen. Wer, Mann oder Frau, auf den regionalen Sexmärkten wegen seines Alters oder Aussehens schlechte Aussichten hat, auf seine Kosten zu kommen, nivelliert den Defekt durch Geld, verreist und tändelt global. So löst die eine Hälfte der Menschheit ihr sexuelles, die andere ihr ökonomisches Problem. Es ist ein viel gelesener Roman.


Und so stellen sich natürlich Sozial- und Sexualwissenschaftler, Psychologen, Therapeuten und Berater die Frage, was denn falsch läuft zwischen Mann und Frau in den Industrieländern, wenn beide Geschlechter zwecks Verkehrs mit dem jeweils anderen in die Entwicklungsländer verreisen. Was wurde nicht alles an Gründen angeführt? Feminismus, Emanzipation, Suche nach Gleichberechtigung, Männermangel nach dem Krieg, Geschlechterkampf, Konkurrenzkampf am Arbeitsmarkt, ein temporäres promiskuitives Verlangen, ein Ausleben sexueller Begierden ohne Verantwortung.


Merkwürdig, dass die Urlaubenden weniger den Umgang mit anderen Urlaubenden suchen als jenen mit den Bewohnern des Reiselandes. In der Dominikanischen Republik etwa gibt es zwei florierende Sextourismussparten, männliche und weibliche Kunden. Sie könnten auch einander beglücken. Tun sie aber weit seltener. Da mag der Wunsch nach etwas Neuem, Fremdem mitspielen. Nicht zu unterschätzen der romantische Aspekt, das Erlebnis des Verliebtseins aus Jugendtagen zu wiederholen. Es mag im Sextourismus ebenso um die Seele wie um den Körper gehen. Denn die Ersatzprinzen benehmen sich ganz wie wirkliche Prinzen, sind galant, sagen Komplimente, sie sind genau so, wie die Männer des eigenen Alltags nie sind, sie sind genau der Ritter, der sich sonst nirgends findet, der aber bei Rosamunde Pilcher und in der Werbung als Hollywood-Beau fröhliche Urständ feiert.


Während Männer also nach Asien reisen, wo sie die sanfte, nicht fordernde Frau erwartet, begeben Frauen sich nach Afrika, Arabien und in die Karibik, wo die Männer im Ruf stehen, groß und stark zu sein. Die Kindfrau und der Macho demnach – was das 20. Jahrhundert abgelegt hat, überwunden glaubte, beide Geschlechter suchen es in den Wochen, die angeblich die schönsten des Jahres sind. Weiblicher Sextourismus erhofft das genaue Gegenteil dessen, was eine selbstbewusste Frau in einer egalitären Verbindung von ihrem Gefährten wünscht, wünschen darf. Feministischer Triumph wird im Urlaub über Bord geworfen. Der heilige Kampf der altvorderen Suffragetten – entweiht.
So gesehen ist weiblicher Sextourismus wirtschaftspolitisch eine kapitalistische Praxis der Ausbeutung, entwicklungspolitisch eine neokolonialistische Haltung, gesellschaftspolitisch ein Rückschritt in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg – als frau noch Frau sein durfte: Verrat also an allen linken und feministischen Idealen – ein großer Verrat für ein flüchtiges Ferienglück.

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