Der King: Zum 40. Todestag von Elvis Presley

Der 40. Todestag sorgt für eine Hochkultur der Elvis-Imitatoren.
Der 40. Todestag sorgt für eine Hochkultur der Elvis-Imitatoren.REUTERS
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Aufstieg, Abstieg und ewige Wiederkehr des King of Rock 'n' Roll. Vor 40 Jahren, am 16. August 1977, starb Elvis Presley in Memphis, Tennessee.

„Kein Tod mutete jemals so vorläufig an, seit Christus das Grab am dritten Tag verlassen hat“, schrieb einst der britische „Guardian“ über Elvis Presley, der am 16. August 1977 an Herzversagen starb. Heuer, nach 40 Jahren, erscheint der Tote dank digitaler Technik überlebensgroß in den Metropolen Europas, begleitet von Exgattin Priscilla und dem London Philharmonic Orchestra. Im Mai waren sie in der Wiener Stadthalle, wo im Februar schon das Musical „Elvis“ gastiert hat, und von April bis November zeigt das Jüdische Museum die Schau „Trude und Elvis“ über dessen Privatsekretärin aus Wien. An Elvis kommst du heuer nicht vorbei. Wie wird das erst in zehn Jahren sein, wenn der 50. Todestag ansteht? Und 2035 zum 100. Geburtstag? Werden wir zu den Mozartjahren Elvisjahre bekommen?

Die Besucherzahl von Graceland in Memphis, Tennessee, wo sich sein Grab befindet, wird in den USA nur von der des Weißen Hauses übertroffen. Elvis hatte das Anwesen mit 22 Jahren erworben, knapp drei Jahre nachdem er sich 1954 mit seiner ersten kommerziellen Schallplattenaufnahme, „That's All Right“, vom White Trash in die Oberschicht gesungen hatte. Und obwohl nicht wenige Marilyn Monroe, Charlie Chaplin oder Michael Jackson doubeln, die Zahl der Menschen, die mit schwarz gefärbtem Haar und glitzernden Strassringen in die Haut ihres Idols zu schlüpfen versuchen, übertrifft sie alle; es gibt die Elvis Impersonators Association, Bücher wie „Be Elvis! A Guide to Impersonating The King“ und unzählige „Drag Kings“, also Travestiekünstlerinnen, die ihn verkörpern. Die Ikonisierung geht „queer“ durch Geschlechter, Rassen und Kontinente.

„Er griff nach der kleinen Büchse Talkum, die in einem Seitenfach seiner Tasche steckte. Er klopfte eine Handvoll Puder heraus und trug vor dem Spiegel eine dicke Schicht auf sein Gesicht auf. Er war unzufrieden; so sahen Weiße nicht aus. ,Willkommen in Lagos, Nigeria‘, grüßte Elvis. Er setzte seine Tasche ab und stellte sich mehrere Schritte davon entfernt auf. Der frisch gewaschene Sand knirschte unter seinen Füßen. Er räusperte sich, zählte 1, 2, 3 . . . und stimmte dann ,Hound Dog‘ an.“ 2003 erschien in New York der Roman „Graceland“ des nigerianischen Autors Chris Abani, und es ist wohl kein Zufall, dass der 17-jährige nigerianische Junge mit dem Namen Elvis für die Strandtouristen ausgerechnet „Hound Dog“ singt, die skandalträchtigste Nummer seines toten weißen Vorbilds.

Schon mit „That's All Right“ hatte Elvis Presley auf eine Nummer des schwarzen Blues-Gitarristen und -Sängers Arthur „Big Boy“ Crudup zurückgegriffen und damit an einem sensiblen Bereich gerührt, denn die Radiosender waren in „Weiße“ und „Schwarze“ getrennt. Mit seiner Interpretation von „That's All Right“ hatte Elvis Presley die erste Rockabilly-Nummer der Musikgeschichte geschaffen, indem er das Rhythm 'n' Blues-Stück mit Elementen der Countrymusic fusionierte. Der musikalische Aufbau von R & B ermöglicht es den Interpreten, mittels Tempo und Phrasierung eine spezifische Dynamik zu entfalten, und hierin erwies sich Elvis Presley schon zu Beginn seiner Gesangskarriere als unübertrefflich.

Der Unterleib des Rock 'n' Roll

Mit „Hound Dog“ ging er noch einen Schritt weiter. Willie Mae „Big Mama“ Thornton war damit 1953 sieben Wochen an der Spitze der R & B-Charts platziert gewesen. Das Lied, geschrieben von den jüdischen Teenagern Jerry Leiber und Mike Stoller, handelt von einem Typen, den man hierzulande als „Windhund“ bezeichnen würde und den die Sängerin satt hat. Es wurde von Freddie Bell umgetextet, wobei Anspielungen auf die Beziehungsebene, wie „You made me weep and moan“, ausgestrichen und vermeintlich jagdbezogene wie „Well, you ain't never caught a rabbit“ eingefügt wurden. Elvis hörte diese Fassung und nahm sie in sein Repertoire auf. Am 5. Juni 1956 präsentierte er den Titel in der Milton-Berle-Fernsehshow und stieß – zusätzlich zu den gewohnten Hüftbewegungen – während der dritten, betont langsamen Wiederholung des Anfangsrefrains das Becken mehrmals nach vorn, als wolle er Kopulationsbewegungen andeuten. Elvis thePelvis war geboren. Ebenso gut hätte er sich in den Schritt fassen können. Das traute sich erst sein Schwiegersohn Michael Jackson 30 Jahre später.

Die amerikanische Mittelschicht sah ihren Sozialstatus durch das Anbranden der „Niggermusic“, der angeblichen Zügellosigkeit der unteren Schichten, nicht zuletzt auch durch die Aufweichung der Geschlechtsstereotypen gefährdet. Bürgerkomitees formierten sich, die in den Musikboxen von Cafés und Restaurants nach Presley-Platten suchten und die Wirte aufforderten, diese zu entfernen. Im Fernsehen, wo Elvis nach seinem Skandalauftritt ohnehin nur mehr vom Nabel aufwärts gezeigt werden durfte, wurden seine Platten zum Schutz der Jugend publikumswirksam zertrümmert.

Tatsache war, dass von Elvis die sexuelle Bereitschaft eines Mannes ohne das sexualisierte weibliche Objekt dargestellt wurde. Bis dahin hatte selbst Marlon Brando einer anwesenden Partnerin wie Vivien Leigh bedurft, um sich das Unterhemd bedeutungsschwer über den Kopf zu ziehen. Interessant ist die Interpretation auf Wikipedia: „Zahlreiche männliche Kritiker stellten sofort den Zusammenhang zwischen Presleys Bewegungen mit denen von Stripteasetänzerinnen her, werteten dies aber nicht als humoristische Einlage, in der ein Mann weibliches Verhalten parodiert, während er ein Lied aus der Perspektive einer Frau singt.“

Den Nachweis allerdings, dass die provokante Einlage humoristisch und nicht obszön gemeint war, bleibt der Eintrag schuldig, nicht zuletzt, weil die Unterscheidung nicht nachzuweisen ist. Eine Parodie changiert stets zwischen Spott und Huldigung, und ihre Pointe besteht gerade darin, nachträglich umgemünzt werden zu können. Das galt auch für die Minstrel Shows, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA für Unterhaltung sorgten: Da schwärzten Weiße ihr Gesicht unter breiter Auslassung der Mundpartie, wodurch der Eindruck eines Clowngesichtes entstand, und parodierten singend die schwarzen Arbeiter des Südens. Presleys erster öffentlicher Auftritt war am 9. April 1953 bei der Annual Minstrel Show der Humes Highschool, wo er im selben Jahr seinen Abschluss machte. Und auch wenn er sich nicht das Gesicht schwärzte, das Deckblatt des Programmes zeigt zwei solcher „Blackface“ genannten Bühnenmasken.

Aber wenn Elvis Presley Blues-Nummern sang, mit den Hüften wippte und rosa Hemden trug, schwang zwar eine ironische Note mit, doch nichts davon ist als Parodie auf Schwarze oder Frauen erkennbar. Elvis eignete sich in manchen Aspekten deren Ausdrucksweise an und unterhöhlte damit die Homogenität weißer Männlichkeit. Diese war es, die noch zuletzt durch einen androgynen Jumpsuit und ein Übermaß an Schmuck ironisiert, aber nicht aufgegeben wurde. Heutzutage würde man das vielleicht als Dekonstruktion bezeichnen. Amerikas Untergrund, seine Unterschicht und sein Unterleib wurden sichtbar.

Diese Obszönität – der britische Sexualforscher Havelock Ellis (1859–1939) bezeichnete das Obszöne als etwas, um dessen Existenz man genau weiß, das aber nicht gezeigt werden darf und daher off the scene bleiben muss – wurde mit der Einberufung Elvis Presleys zur Armee abgeblockt. Während der Ausbildungszeit starb noch dazu seine Mutter, zu der er eine ungewöhnlich enge Bindung gehabt hatte. Zurück in Amerika, drehte er fast ein Jahrzehnt lang nur noch Filme, in denen er der Gute war. Als Charakter, nicht als Schauspieler.

Doch 1968, mit fast 34 Jahren, dem Alter, in dem Hölderlin „Hälfte des Lebens“ schrieb,wendete sich das Blatt noch einmal. Im NBC-Fernsehspecial „Elvis“, das am 3. Dezember 1968 ausgestrahlt wurde, stand er erstmals wieder vor echtem Publikum und interpretierte seine Klassiker „That's All Right“, „Heartbreak Hotel“ und „Blue Suede Shoes“ neu. Die Zeitschrift „Rolling Stone“ kürte diesen Auftritt zum Musik-Comeback des 20. Jahrhunderts. Elvis Presley war kein grüner Junge mehr, sondern ein souveräner Entertainer und Größen wie Frank Sinatra absolut ebenbürtig, in dessen Show er 1960 noch ein wenig unsicher gewirkt hatte. Über Live-Auftritte soll er gesagt haben: „It's like a surge of electricity going through you. It's almost like making love, but it's even stronger than that. Sometimes I think my heart is going to explode.“ Später, in Las Vegas und auf seinen Tourneen, waren die Küsse, die er mit Frauen in der ersten Reihe tauschte, fixer Bestandteil der Show, aber er gab niemals eine Zugabe.

Elvis Presley verfügte womöglich über die facettenreichste Stimme der Rockgeschichte und über ein unnachahmliches manipulatives Geschick. Zudem wurde sein Aussehen nicht durch die kleinste Unregelmäßigkeit getrübt. Seine Exfrau Priscilla gab in einem späteren Interview an, ihn wegen dieser Makellosigkeit oftmals angestarrt zu haben, während er schlief. Gut, wenn man verliebt ist, starrt man auch den schlafenden Gérard Depardieu an, aber Elvis ungestört anzustarren bedeutete, sich in ein Bild zu versenken, das sich immer wieder entzog.

Fress-, Schlaf- und Tablettenexzesse

Im Jahr 1998 sorgte Priscillas Rechtsstreit gegen die Behauptung, sie sei nicht unberührt in die Ehe gegangen, für Hohn. Glaubt man aber ihrer Biografie und nicht der unautorisierten von Suzanne Finstad, verteidigte sie damit nicht ihre Sittlichkeit, sondern das Wesen ihrer Beziehung. Sie erzählt von einem ausufernden sexuellen Taumel, der durch Elvis' fixe Idee, den Koitus sieben Jahre lang bis zur Hochzeitsnacht hinauszuzögern, am Köcheln gehalten wurde. Die Exzessivität dieser Kasteiung korreliert mit seinen kolportierten Fress-, Schlaf- und Tablettenexzessen genauso wie mit seiner Intensität auf der Bühne.

Elvis hatte in der 14-jährigen Priscilla Beaulieu seine Galatea gefunden, eine wie im Pygmalion-Mythos von ihm selbst geschaffene Geliebte. Und da er der King war, brauchte er keinerlei Zwang, um ihre Haarfarbe, ihre Kleidung, ihre Umgangsformen, ihre Freunde und ihre geistige und körperliche Entwicklung zu bestimmen. Vielleicht war ihr Verlust tatsächlich der entscheidende Anlass, sich völlig fallen zu lassen und Aufnahmen nur noch im Pyjama im Jungle Room von Graceland zu absolvieren. Sieht man die ekstatische Hingabe, mit der er bei seinem letzten großen Auftritt, „Aloha from Hawaii“, im Jänner 1973 das Lied „You Gave Me a Mountain“ sang, kann man kaum umhin, dies anzunehmen. Weder der Komponist und Texter Marty Robbins noch Frankie Laine, der damit 24 Wochen an der Spitze der Billboards reüssierte, brachten die Klage eines Mannes, der Schicksalsschläge wie Hügel überwunden hat, aber nun vor einem unbezwingbaren Berg steht, weil ihn seine Frau verlassen hat, so überzeugend dar. Für den Kraftakt aber, sich aus dieser süßen Herrschaft zu befreien, muss man Priscilla Presley, geborene Beaulieu, Anerkennung oder vielmehr sogar Bewunderung zollen. ■

Christa Nebenführ

Geboren 1960 in Wien. Studium der Philosophie in Wien und in Stony Brook, USA. Mag. phil. Im Milena Verlag: der Roman „Blutsbrüderinnen“. Kommende Woche läuft in Ö1 ihr Elvis-Radiokolleg (jeweils 9.30 Uhr).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2017)

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