Besuch in Maly Trostinez: Die Erde schweigt nicht

Namenlose Opfer. Gedenkstätte in Maly Trostinez.
Namenlose Opfer. Gedenkstätte in Maly Trostinez.(c) Natalia Fedosenko / Tass / pictu (Natalia Fedosenko)
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Lippenstifte, Brillen, Zahnersatzteile: Archäologische Ausgrabungen brachten im ehemaligen NS-Vernichtungslager Maly Trostinez, heute Weißrussland, Alltagsgegenstände ans Licht, die den Deportierten und Ermordeten gehörten. Ein Besuch in der Gedenkstätte nahe Minsk.

Maly Trostinez. In der Nähe der weißrussischen Hauptstadt Minsk liegt ein Vernichtungsort europäischer Dimension, an dem am 28. März dieses Jahres Bundeskanzler Sebastian Kurz und Präsident Alexander Lukaschenko das von Daniel Sanwald entworfene Denkmal „Massiv der Namen“ der Öffentlichkeit übergeben haben. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte im Juni 2018 den Grundstein dafür gelegt. Zehn dunkelgraue Betonmonolithe, die die Vornamen von Opfern tragen, ragen aus einem gleichfärbigen großflächigen Fundament, das den Raum für das Denkmal definiert und dem Gedenkstein würdevoll den Boden bereitet. Es erinnert an die nahezu 10.000 österreichischen Jüdinnen und Juden, die in dem Waldstück unmittelbar nach ihrer Ankunft aus Wien oder Theresienstadt ermordet wurden. Um die Vorbereitungen für die Übernahme einer Wanderausstellung über den Schreckensort Maly Trostinez treffen zu können, die ab 14. Juni im Haus der Geschichte Österreich zu sehen sein wird, nahm ich an der Reise teil.

Maly Trostinez war ein Ort des Grauens. Im Juni 1941 begann der deutsche Angriffskrieg gegen die Sowjetunion. In den eroberten Gebieten wüteten die Nazis gegen die einheimische jüdische Bevölkerung. Zur gleichen Zeit wurden im Berliner Reichssicherheitshauptamt, dem wichtigsten Organ nationalsozialistischer Unterdrückungs- und Terrorherrschaft, dem eine Schlüsselrolle in der Durchführung des Judenmordes zukam, die Pläne für die Deportation der Juden aus Deutschland und den besetzten europäischen Ländern vorangetrieben. Das bisherige Ziel der rassistischen NS-Politik waren die Vertreibung und Beraubung der jüdischen Bevölkerung gewesen, im Herbst 1941 fiel die Entscheidung zur Vernichtung. Nun ging es Schlag auf Schlag: Ab September 1941 war das Tragen des stigmatisierenden „Judensterns“ im Deutschen Reich Pflicht, mit 3. Oktober 1941 war die Auswanderung für Juden verboten. Am 15. Oktober begannen reichsweit in den großen Städten die Deportationstransporte. In Wien wurden von 15. Oktober 1941 bis 9. Oktober 1942 nahezu wöchentlich rund 1000 Personen deportiert. Zuvor in Sammellagern im 2. Bezirk interniert – dort wurden die Transporte zusammengestellt –, wurden sie in offenen Lastwagen zum Aspangbahnhof gebracht. 1941/42 gingen insgesamt 45 Transporte mit mehr als 45.000 Menschen vom Wiener Aspangbahnhof ab.

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