Missbrauch im Skisport: Klasnic-Kommission spricht ÖSV frei

PRAeSENTATION DER ERGEBNISSE DER EXPERTENKOMMISSIONEN ZU GEWALT IM SKISPORT: WIMMER-PUCHINGER / LEIBOVICI-MUeHLBERGER /  SCHROeCKSNADEL
PRAeSENTATION DER ERGEBNISSE DER EXPERTENKOMMISSIONEN ZU GEWALT IM SKISPORT: WIMMER-PUCHINGER / LEIBOVICI-MUeHLBERGER / SCHROeCKSNADELAPA/EXPA/MICHAEL GRUBER
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Die Expertenkommission sieht keine Hinweise auf systematischen sexuellen Missbrauch im ÖSV: Ihr seien keine Fälle gemeldet worden. Ex-Rennläuferin Werdenigg überrascht das nicht: Das Vertrauen zu einer ÖSV-Kommission sei nicht groß genug.

Die von Österreichs Skiverband (ÖSV) im November als Reaktion auf die auftauchenden Missbrauchsvorwürfe eingesetzte Expertenkommission sieht keine Hinweise auf systematischen sexuellen Missbrauch und sexuelle Gewalt innerhalb der Verbandsstrukturen. Das ist die Kernaussage der am Mittwoch in Wien bei einer Pressekonferenz bekanntgegebenen Ergebnisse der bis 31. Mai gelaufenen Untersuchungen.

Steiermarks ehemalige Landeshauptfrau Waltraud Klasnic berichtete in ihrer Funktion als Vorsitzende des Expertenbeirats in diesem Zusammenhang vom Eingang von rund 130 Telefonaten und 90 Mails. "Es sind keine Fälle gemeldet worden, außer dass es vieles an Anrufen und Mails gab, aber es ist immer anonym gewesen", sagte Klasnic zur APA - Austria Presse Agentur. Auf einen konkreteren Fall aus etwas jüngerer Vergangenheit wies die Unabhängige Opferschutzanwältin aber schon hin.

Vor rund zwei Jahren sei ein zugekaufter gewerblicher Masseur übergriffig geworden, die zwei Sportlerinnen hätten sich sofort der Trainerin anvertraut. "Der Mann durfte nicht nur am selben Tag nicht mehr kommen, sondern das ist auch gerichtsanhängig", betonte Klasnic. Eine zweite Causa betreffe das sogenannte "Pastern" in Schulen. Klasnic: "In allen drei Schulen waren es Situationen, die innerhalb des Landes und des verantwortlichen Schulträgers abgehandelt wurden."

Klasnic: "Ohne ÖSV-Einflussnahme gearbeitet"

Klasnic betonte, dass unabhängig und ohne ÖSV-Einflussnahme gearbeitet worden sei. Es habe anonyme Hinweise auf mögliche Missstände im ÖSV in den Achtziger-Jahren und früher gegeben, denen sei so gut wie möglich nachgegangen worden. Klasnic habe mit Nicola Werdenigg Kontakt gehabt, von der erste Missbrauchsvorwürfe gekommen waren. Hier sei aber kein Name genannt worden. Diskussionsthemen seien auch die Fälle "Toni Sailer" und "Charly Kahr" gewesen.

Werdenigg: Kommission unter ÖSV-Flagge "nicht der geeignete Ansprechpartner"

Ex-Rennläuferin Werdenigg, die seinerzeit mit dem Hinweis auf eine Vergewaltigung durch einen Mannschaftskollegen und einen Trainer die Debatte ausgelöst hatte, sagte am Abend in der ORF-Nachrichtensendung ZiB 2, es sei von vornherein klar gewesen, dass es bei einer unter ÖSV-Flagge aufgestellten Kommission ganz schwierig sein werde, dass sich dort Athleten und Athletinnen selbst melden würden.

"Das System, in dem das passiert ist, ist in diesem Fall nicht der geeignete Ansprechpartner, zu dem man vertrauen haben kann", sagte Werdenigg im Interview mit Armin Wolf. Bei ihrem Institut hätten sich hingegen sehr wohl zahlreiche Menschen - auch ganz junge Fälle - gemeldet. Und zwar rund 50 bis 60 Personen aus dem Sport-Umfeld (aus dem Ski-Umfeld 30 bis 40 Personen), die Kontakt aufgenommen hätten und sich teilweise auch namentlich gemeldet hätten. Diese habe man an den Weißen Ring weitergeleitet und in einem Fall mit einer Therapie-Unterstützung weitergeholfen. "Offensichtlich war es einfach eine Vertrauensfrage", so Werdenigg.

Zum konkreten Fall aus dem Jahr 2005 habe sie mit der Betroffenen Kontakt, betonte Werdenigg. Die Zusammenarbeit mit der Landespolizeidirektion in Tirol sei gut gewesen und Namen seien bekannt, auch bei der Staatsanwaltschaft. Sie sehe die Notwendigkeit, solche Dinge in einem rechtsstaatlichen Verfahren aufzulösen. Auf der einen Seite sei man eine Meldestelle und gleichzeitig Kommission zum aufarbeiten. "Das ist normal nicht üblich."

Vertrauen erschüttert

Sie sei auch mit Klasnic zusammengetroffen, so Werdenigg. Für ihren Fall gelte, dass sie diese Namen aus der Vergangenheit dort, wo es notwendig gewesen sei, dem juristischen System bekannt gegeben habe. "Aber ich wollte das nicht einer ÖSV-Kommission geben, wo ich nicht wusste, was damit passiert." Auch in ihrem Fall sei das Vertrauen dorthin nicht so groß gewesen, wie zu staatlichen Einrichtungen.

Man dürfe den ÖSV nicht als alleinigen Schuldigen hinstellen. "Aber es war wichtig, dass er angesprochen wurde." Aus internationalen Studien sei bekannt, dass gewisse Strukturen im Sport vorhanden seien, die Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt fördern würden. "Wir haben Fälle im Schwimmen, Volleyball, Judo, Eislaufen, Turnen. Der Skiverband ist eine Struktur davon, in der es genauso stattfinden kann."

Nun gelte es, professionelle Zahlen aus Studien zu bekommen. Es fehle nach wie vor eine übergeordnete Stelle, die alle Verbände und Sportorganisationen über die Politik hinaus in dieser Sache betreue, evaluiere und gemeinsam mit Justiz und dem Familienministerium Regeln festlege, "aus der kein Verband herauskommt."

Der Expertenbeirat

Weitere Expertenbeirat-Mitglieder waren u.a. der Psychiater und Neurologe Reinhard Haller, Caroline List als Präsidentin des Landesgerichts für Strafsachen Graz, der ehemalige Wiener Stadtschulrat Kurt Scholz und Gerald Schöpfer, Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes. "Aufklärung ist das Wichtigste im Kampf gegen Missbrauch und Macht", meinte List in ihrer Stellungnahme. Scholz stellte fest, dass durch die Aufarbeitung "die Mauer des Schweigens niedriger geworden" sei.

Neben dem Expertenbeirat gab es noch Untersuchungen einer Psychologen- sowie einer weiteren Experten-Gruppe. Das Psychologen-Team u.a. mit Beate Wimmer-Puchinger befasste sich mit der Entwicklung von Präventionsansätzen gegen Gewalt in Schulen und Internaten. Dabei waren viele Gespräche mit Lehrern und Schülern an der Tagesordnung. "Prävention ist die beste Medizin. Eine gute Präventionsstrategie ist das Gebot der Stunde", stellte Wimmer-Puchinger fest.

Martina Leibovici-Mühlberger wiederum habe mit ihrem Experten-Team die Rahmenbedingungen und Strukturen des ÖSV analysiert. In Tiefeninterviews mit Trainern und Athleten sei dem Status quo auf den Grund gegangen worden. Die erfolgte Umstellung des Trainingsapparats auf Kleingruppen sei dabei als wichtig und wesentlich erkannt worden. "Die Überblickbarkeit der Gruppe hebt die Transparenz der Kommunikationsprozesse", erläuterte Leibovici-Mühlberger.

Schröcksnadel "erleichtert"

ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel atmete ob der Ergebnisse der Untersuchungen durch. "Was uns vorgeworfen wurde, stimmt einfach nicht", sagte der 76-Jährige. "Ich bin erleichtert, das ist aber auch schon alles. Ich brauche keine Befriedigung in so einer Sache. Jeder einzelne Fall, der passiert ist, ist schockierend, zutiefst bedauerlich und furchtbar für den Betroffenen oder die Betroffene. Leider kann auch der ÖSV nicht zu 100 Prozent ausschließen, dass es zu einzelnen Übergriffen kommt."

Schröcksnadel hofft, dass die Untersuchungskommission beispielhaft werde. "Wir wollen ein Leuchtturm-Projekt sein für die Zukunft", meinte der ÖSV-Chef an. Weitere ÖSV-Maßnahmen sollen das Einsetzen einer dauerhaften Ombudsstelle, die Neuausrichtung der Trainerausbildung für Damen-Teams, eine Trainerschulung zur Stärkung der Persönlichkeit und gruppendynamischer Effekte, Gesprächsrunden mit Psychologen und eine engere Zusammenarbeit mit Schulen sein.

Der Expertenbeirat gab folgende Empfehlungen ab: Wahrnehmung von Verantwortung, Ernstnehmen von Meldungen und Wahrnehmungen, Enttabuisierung und Transparenz, Schaffung eines vertrauensvollen Klimas, Institutionalisierung leicht zugänglicher unabhängiger Anlaufstellen bzw. Vertrauenspersonen, Präventionsrichtlinien für alle Bereiche, sorgfältige Auswahlkriterien für Trainer, Betreuer und Funktionäre sowie Schaffung einer österreichweiten Präventionsplattform.

(APA)

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