Bubentraum Fußballstar

Bubentraum Fussballstar
Bubentraum Fussballstar(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Lionel Messi, der beste Fußballer der Welt, stellte die Weichen für seine Karriere schon im Kindesalter. Fußballvereine haben Gefallen daran gefunden, die Stars von morgen schon heute zu verpflichten.

Als ein gewisser Lionel Andrés Messi mit 13 Jahren Argentinien den schmalen Rücken kehrte, um sich samt Familie in Spanien niederzulassen, hatte er keine Ahnung, was er damit anrichten würde. Der kleinwüchsige Junge hatte ein gewisses Talent, wenn es darum ging, mit einem Fußball durch die gegnerischen Reihen zu tänzeln. Anfänglich verzauberte „Leo“, wie er gerufen wird, damit nur den FC Barcelona. Heute ist die ganze Welt regelmäßig Zeuge einer fußballerischen Ausnahmeerscheinung.

Für unzählige Buben auf der ganzen Welt ist Messi das Idol, dem sie nacheifern wollen. Sie tragen das Dress mit seinem Namen, nicht selten stehen beim Kicken im Park gleich mehrere kleine Messis auf der Wiese. Sie ahmen ihn nach, seine Gesten, seinen Jubel. Und wenn sie ein Spiel gewinnen, reißen sie sich im Freudentaumel die Trikots vom Leib.

Auch Michael Daniliuc hat den Weg des Ballzauberers genau verfolgt. Der 44-Jährige ist Vater von sechs Kindern, aber eines davon ist „wirklich etwas Besonderes“. Flavius, so heißt das jüngste Familienmitglied, genießt bei Michael einen königlichen Ausnahmestatus. So und nicht anders sind es Fußballer, die bei Real Madrid engagiert sind, gewohnt. Flavius gehört zu diesem speziellen Schlag. Im März 2011 wagte er mit seinem Vater und den beiden Zwillingsbrüdern Daniel und Manuel – sie spielen momentan auf Probe bei Real – den Schritt von Wien nach Madrid. Nach einem Probetraining bei den „Königlichen“ wird Flavius umgehend verpflichtet. „Andere müssen ein Jahr vorspielen“, sagt Michael voller Stolz.


Alles ist anders, nur eines nicht. Für den erst Neunjährigen beginnt schlagartig ein neues Leben, 1800 Kilometer von seiner Heimat entfernt. Mutter Gianina dient meist nur noch übers Telefon als Bezugsperson. Seine alten Freunde verliert Flavius aus den Augen, muss sich im Fußballverein erst integrieren und neue finden. Von einer unbeschwerten Kindheit kann längst keine Rede mehr sein. Zahlreiche Eindrücke prasseln wie im Zeitraffer auf ihn ein. Auch die Kommunikation ist ein Problem. In der Schule muss Flavius erst Spanisch lernen. Doch trotz all der Belastungen beklagt er sich nicht. „Alles läuft bestens. Ich stehe immer in der Startelf, spiele immer durch. Und in der Schule bin ich auch super“, sprudelt es aus Flavius heraus, als ihn die „Presse am Sonntag“ nach dem Vormittagsunterricht telefonisch erreicht.

Von Madrid bis Horn. Rund um den Globus träumen Buben davon, Kickerstars zu werden. Allein im niederösterreichischen Fußballverband, dem größten Landesverband, sind über 10.000 Kinder im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren vereinsmäßig aktiv. Sie trainieren zwei- bis dreimal pro Woche, manche auch öfter, im Park, am Nachmittag im Schulhof, wo immer es geht. Jedes ihrer Wochenenden hat einen Fixpunkt: das Match. Ihr Leben dreht sich um den Ball. Und wenn sie nicht auf dem Platz stehen, spielen sie Fifa auf ihren Computern, stellen Szenen auf ihrem Playmobil-Rasen nach oder tauschen Panini-Pickerln. Über die deutsche, englische oder spanische Liga wissen sie schon mit sieben Jahren ähnlich gut Bescheid wie Sportjournalisten.

Eltern sind die größten Fans. Beim Großteil der Kinder hält sich die Begeisterung in einem gesunden Rahmen, andere kippen völlig rein und sehen sich schon als künftige Nationalspieler. Ihr Berufsziel steht fest: Sie wollen Fußballprofis werden. Ihre Eltern sind meist die größten Fans, legen in einer Saison hunderte Kilometer mit dem Auto zurück, um dem Nachwuchs auf die Beine zu schauen. Wenn das Talent augenscheinlich ist, sind die Erziehungsberechtigten oft die Ersten, die sich für einen Transfer zu einem größeren Klub starkmachen und von einer großen Karriere ihres Kleinen träumen.

Flavius, der Madrilene, hat Spaß daran, interviewt zu werden, genießt es, eine Person von Interesse zu sein. Es ist für ihn schon jetzt „Part of the Job“. So wie es für Vereine zum Tagesgeschäft geworden ist, nach blutjungen Talenten Ausschau zu halten. Speziell um acht- bis zehnjährige Hochbegabte ist international ein regelrechter Wettstreit ausgebrochen. Immer früher sichern sich Klubs die Dienste der kleinen Ballartisten. Ralf Muhr, Nachwuchschef bei der Wiener Austria, kennt die Problematik. „Wenn große Vereine anklopfen, hat der Spieler fast keine Chance, Nein zu sagen.“ Häufig treffen die Klubverantwortlichen bei den Verhandlungen auch noch auf überehrgeizige Eltern, deren Augen zu leuchten beginnen. Wer kann schon von sich behaupten, seinen Sohn bei Real Madrid oder Manchester United untergebracht zu haben? Das Kind hat dabei meist kein Mitspracherecht, ist nur ein Spielball zwischen den Parteien. Topklubs kostet die Verpflichtung potenzieller Helden von morgen in den meisten Fällen wenig bis gar nichts. Getreu dem Motto: Je früher ein Verein den Spieler verpflichtet, desto billiger.

Roulette mit Kindern. Das Engagement bei einem Großklub samt dem einhergehenden Medienrummel wird für viele Hoffnungsträger zur mental unüberwindbaren Belastungsprobe. Der Druck, entsprechen zu müssen, ist gewaltig. Dabei sind sich Experten einig: Niemand kann seriös über das spätere Leistungsvermögen eines Zehnjährigen urteilen. Zu viele variable Einflussfaktoren spielen eine Rolle. Das Spiel funktioniert, weil die Klubs beim Kinder-Roulette nicht viel zu verlieren haben. Unter hunderten „Stars“ wird in der Regel zumindest einer Jahre später seinem Ruf gerecht. Erziehungsberechtigte wie Klubs schüren speziell anfangs massiv die Hoffnung. Flavius Daniliuc etwa wird von den Real-Verantwortlichen versichert, dass er als Elfjähriger bereits über das Spielverständnis eines 14-Jährigen verfüge.

Von einem normalen Leben eines unbekümmerten Elfjährigen ist Flavius jedenfalls weit entfernt. Er hat praktisch keine Freizeit. Fußball ist für den „Cristiano Ronaldo in Miniatur“, wie Michael ihn gern bezeichnet – aber ohnehin die wichtigste Hauptsache der Welt. Flavius ist anders als die meisten seiner Alterskollegen. Nicht einmal das Verlangen nach Fernsehen verspürt er. „Nein, das brauche ich nicht.“ An 14-Stunden-Tagen, die sein junges Leben prägen, bliebe dafür ohnehin kaum Zeit. Neben dem Training im Verein steht zweimal pro Woche auch ein exklusives Privattraining auf der Agenda. Während der eineinhalb- bis zweistündigen Einheit feilt Flavius an Koordination, Technik und Dribblings. „Und ich muss immer Zug zum Tor haben.“ Als großes Vorbild dient – natürlich – Cristiano Ronaldo, „weil er so gut tricksen kann und schnell ist“. Zumindest den Arbeitgeber und die Rückennummer sieben hat Flavius mit dem exzentrischen Portugiesen bereits gemein. „Aber ich versuche noch besser zu werden als er.“ An mangelndem Selbstvertrauen sollte es nicht scheitern. Michael hat keine Zweifel, in Flavius einen kommenden Star großzuziehen. Vielleicht auch deshalb, weil der gelernte Uhrenmechaniker finanzielle Wagnisse eingegangen ist. 80.000 Euro haben ihn die letzten 15 Monate gekostet. Ein Luxus, den sich Michael Daniliuc womöglich kein weiteres Jahr leisten kann und will.

(Ohne) Rücksicht auf Verluste. In den nächsten Wochen wird der arbeitslose Fußballervater erneut über die eigene Zukunft und die seiner Söhne entscheiden. Während Vorbild Ronaldo jährlich 13 Millionen Euro verdient, sieht Flavius in der U11-Mannschaft des aktuellen spanischen Meisters keinen Cent. „Es wird noch eine Zeit dauern, bis wir von richtigem Geld reden können. Aber es zahlt sich aus, wenn wir uns dafür aufopfern“, meint Michael.

Trotz aller Sorgen hat er den Schritt ins Ungewisse noch keine Sekunde bereut. Ein begabter Spieler müsse eben dorthin, wo er sein Handwerk am besten lernt. Das Alter spiele dabei keine Rolle. Soziale Bedenken belasteten ihn nie. An erster Stelle steht die sportliche Entwicklung – und die soll man auf keinen Fall unterbrechen. „Lionel Messi wird es sicher auch nicht bereuen, dass er diesen Schritt in so jungen Jahren gemacht hat.“ Flavius Daniliuc soll kein ewiges Talent bleiben, von dem irgendwann nicht einmal mehr unter diesem Gesichtspunkt berichtet wird. In ein paar Jahren soll Flavius Superstar-Status genießen. „Er wird kein Messi“, sagt sein Vater. „Nein. Flavius wird eine eigene Marke.“ An deren Kreation wird bereits fleißig gearbeitet. Flavius verfügt über eine Facebook-Fanseite. Die knapp über 200 „Fans“ sollen sich schnellstmöglich vervielfachen. Auch auf Twitter und seiner Homepage hält er die noch überschaubare Anhängerschaft auf dem Laufenden. Wohl ein Pflichtprogramm, wenn man stolzer Vater „eines der Top-drei-Talente Europas“ ist. Denn: „Barcelona hat keinen Flavius.“

Barças Superkid. Barcelona hat freilich vorausgedacht und vorsorglich seinen eigenen, nächsten Messi in der endlos langen Warteschleife. Takefusa Kubo ist einer von vielen und soll dennoch die Ausnahme sein. Der Japaner wurde erstmals als Achtjähriger von Barcelona-Scouts beobachtet. Zwei Jahre später schien den Katalanen die Zeit reif und Kubo alt genug. Der Asiate ist ihnen monatlich sogar 250 Euro wert. Daniliuc und Kubo sind längst keine Einzelfälle in der Fußballwelt. Beinahe keine Saison verstreicht, in der nicht zumindest ein Kind zum Star der Champions-League-Saison 2022 ausgerufen wird. Fußstapfen können dabei nicht groß genug sein.


Der unabsichtliche Weltstar. Fälle wie Takefusa Kubo sind nur die Fortsetzung eines gefährlichen Trends, wie Ralf Muhr weiß. „Das Hauen, Ziehen und Stechen um Talente setzt heute schon viel früher ein als noch vor ein paar Jahren.“ Das Schlagwort „Menschenhandel“ fällt in diesem Zusammenhang immer häufiger. Selbst in Deutschland, wo Talente für gewöhnlich bis zum 16.Lebensjahr behutsam und im eigenen Stall aufgebaut werden, brodelt es.

Erst vor wenigen Monaten wechselten zwei 13-Jährige innerhalb des Landes den Verein. St. Paulis Jugendchef Joachim Philipkowski, der eines seiner größten Talente an den VfL Wolfsburg verlor, reagierte empört: „Dieser Weg ist nicht richtig. Der Junge wird zu früh aus seinem familiären Umfeld gerissen.“ Es gilt das Prinzip: „First come, first serve.“ Vielleicht verpflichtet man ja nichtsahnend einen künftigen Weltstar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2012)

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