Löw: „Ich war fast schon arrogant“

Ließ kein gutes Haar an seiner eigenen Taktik: Joachim Löw.
Ließ kein gutes Haar an seiner eigenen Taktik: Joachim Löw.(c) APA/AFP/CHRISTOF STACHE (CHRISTOF STACHE)
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Selbstgefälligkeit, zu viel Risiko und ein auf die Spitze getriebenes Spielsystem, das sich sehr bald als falsch herausstellte: Nationaltrainer Joachim Löw präsentierte seine WM-Analyse.

München/Wien. Die Kritik sei angebracht gewesen. Daran ließen Nationaltrainer Joachim Löw und Teammanager Oliver Bierhoff keine Zweifel. Die beiden Verantwortlichen des deutschen WM-Debakels traten Mittwochmittag vor die Presse und präsentierten zwei Monate nach dem Vorrunden-Aus in Russland (Gruppenletzter, drei Punkte, 2:4 Tore) ihre Aufarbeitung. 110 Minuten lang wurde in der Münchner Allianz Arena, in der Deutschland am 6. September in der neuen Nations League auf Weltmeister Frankreich trifft, debattiert, es war die längste Pressekonferenz in der Geschichte des Deutschen Fußballbundes (DFB).

Auf dem Platz

„Wir haben bei der WM zu Recht die Quittung bekommen“, erklärte Löw. Erstens, und diese Erkenntnis ist wenig überraschend, seien viele Spieler unter ihren Möglichkeiten geblieben, der Enthusiasmus habe gefehlt, statt Feuer sei da nur eine kleine Flamme gewesen. Zweitens, erklärte Löw unmissverständlich, sei es aber sein Spielsystem gewesen, das gescheitert ist. „Wir sind eine Mannschaft geworden, die immer mehr durch Dominanz und Ballbesitz versucht hat, ihre Spiele zu gewinnen. Fast schon arrogant wollte ich das auf die Spitze treiben und perfektionieren.“

Ein gut gemeinter Ansatz, das Spiel gestalten zu wollen, vor allem in der Hochphase des Umschaltspiels. „Ich bin zu viel Risiko gefahren“, meinte Löw. Schließlich habe es für das deutsche Kombinationsspiel stets eine Überzahl in der Offensive gebraucht, auch bei gegnerischen Verteidigungsreihen mit acht, neun Spielern. Und das bedeute eben ein beträchtliches Risiko. So habe die Analyse ergeben, dass Deutschland außerordentlich viel Ballbesitz in der gegnerischen Hälfte hatte, mit 24 Abschlüssen pro Spiel sogar so viele wie noch nie. Und dennoch fehlten die Sprints, die Intensität, alles war zu statisch, 30 Schüsse mehr als beim WM-Titel 2014 benötigte man für einen Torerfolg.

Doch Löw wollte noch mehr Dominanz. „Ich war der hundertprozentigen Überzeugung, so kommen wir durch die Vorrunde. Mein allergrößter Fehler.“ Das Problem: Nach der Auftaktniederlage stand das DFB-Team mit dem Rücken zur Wand. „Eine Fehleinschätzung. Ich hätte die Mannschaft auf eine stabilere, sicherere Spielweise vorbereiten sollen.“

Und dann stellte Löw auch die die Frage, die nun die Fußballwelt beschäftigt: „Ist Ballbesitzfußball vorbei?“ Zumindest in einer K.-o.-Phase, so ließen sich Löws Äußerungen deuten. Sein Beispiel: Manchester City gewinnt mit Pep Guardiolas Ballbesitzphilosophie die Premier League und bricht dabei alle Rekorde. In der Champions League aber wird das Team in einem Hinspiel von Liverpool ausgeknockt (3:0). Löw: „Da zählen andere Dinge als Dominanz und Ballbesitz.“

Neben dem Platz

„Wir sind selbstgefällig aufgetreten, haben unseren Erfolg, die Unterstützung unserer Fans für zu selbstverständlich gehalten. Wir haben geglaubt, das ist ein Selbstläufer“, erklärte Teammanager Oliver Bierhoff. Dann griff er jeden einzelnen Kritikpunkt auf, der seit dem WM-Aus von den Medien aufgebracht wurde. Bierhoffs Kernpunkte: Der aufgeblähte Stab der Nationalmannschaft bei der WM werde um elf Personen verkleinert. Löw: „Manchmal ist weniger auch mehr.“ Der DFB werde sich bemühen, mehr Nähe zu den Fans zu suchen, und Bierhoff zufolge „häufiger Türen und Tore aufmachen“. Die Kommerzialisierung des Nationalteams befinde sich auf verträglichem Maß und finanziere die Basis des deutschen Fußballs. Dieser wiederum werde einer Gesamtbetrachtung unterzogen, neue Akzente würden gesetzt.

Konsequenzen

Löw und Bierhoff bleiben im Amt, das ist bereits festgestanden. In Löws Kader für das Duell mit Frankreich finden sich drei Debütanten (Thilo Kehrer, Nico Schulz, Kai Havertz). Die zurückgetretenen Mesut Özil (siehe Artikel rechts) und Mario Gomez fehlen, Sami Khedira wurde nicht einberufen. Dafür ist Manchester-City-Star Leroy Sané wieder im Team.

Ein Umbruch sieht jedenfalls anders aus. Löw meinte: „Wir müssen einen Mix aus Erfahrung – ein wichtiges Fundament für einen Neubeginn – und jungen, dynamische Spielern finden. Wir müssen unsere Spielweise adaptieren, um flexibler, variabler und stabiler zu sein. Wir dürfen nicht dieses hohe Risiko einfordern.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2018)

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