Deutschlands Freude an der Niederlage

Die „Jogi-Krise“ ist vorerst abgesagt.
Die „Jogi-Krise“ ist vorerst abgesagt.APA/AFP/EMMANUEL DUNAND
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Verkehrte Welt oder Fußballphilosophie? Im DFB-Team wähnt man das 1:2 in Paris als „Geburtsstunde“ einer neuen Erfolgs-Elf. Die „Jogi-Krise“ ist, mit aufschiebender Wirkung, abgesagt.

Paris. An sich galt es bislang als rein österreichische Kunst, Niederlagen schönzureden und selbst in ernüchternden Rückschlägen noch Positives zu entdecken. Seit dem blamablen WM-Aus in Russland hat aber offenbar auch der deutsche Fußball dieses Geschick entdeckt. Nach der 1:2-Niederlage gegen Frankreich wurde es sogar in eine ganz neue Sphäre gehoben.

Herrschte nach dem 0:3 in der Nations League gegen die Niederlande noch alarmierende Endzeitstimmung in den Reihen des DFB und deutschen Medien, so war man sich landesweit gewiss, dass das 1:2 gegen den Weltmeister die Trendwende bedeuten kann. Dass eine 1:0-Führung (Kroos) verspielt und davor gute Chancen vergeben wurden, all das schien in der kollektiven Nachbetrachtung wie der weiterhin drohende Abstieg nicht von Belang.

Die „Jogi-Krise“, die die „Bild“-Zeitung mit dem Begehr eines Radikalumbaus noch am Montag ausgerufen hatte, ist – mit aufschiebender Wirkung – abgesagt: „1:2 verloren, aber es gibt Mut. Jogi, das ist der richtige Weg!“

Es ist Ansichtssache, ob eine Niederlage gegen den Weltmeister für den deutschen Fußball heilende Wirkung hat oder nicht. Joachim Löw aber schien eine dringende Notwendigkeit akzeptiert zu haben „nach knapp vier Monaten des Nachdenkens“, wie Lothar Matthäus ätzte. Dass er Spieler wie Sané, Ginter oder Süle forcierte, dokumentierte zarte Ansätze einer ersten Veränderung.

1:2, ein Idyll?

Dass der Systemwechsel eines Teams, dass von seinem Trainer ein Jahrzehnt lang Ballbesitzfußball als einzig wahres Gut aufgeprägt bekommen hat, nicht vollkommen unfallfrei verlaufen kann, ist unbestritten. Insofern stellt der Badener, 58, seine Kritiker nun mit personellen Adaptierungen zufrieden. Alle Rufe aber will er weiterhin partout nicht erhören: Ter Stegen sitzt auf der Bank und Neuer hütet das Tor. Hummels ist und bleibt wie Müller ein Fixpunkt in seinem Spiel. So wie es auch Boateng weiterhin sein wird – ob das Bayern-Trio in Form ist oder nicht.

Teammanager Oliver Bierhoff erkannte „ein wichtiges, gutes Zeichen“ und hoffte sogar, „in Paris die Geburtsstunde eines neuen, frischen, leistungsfähigen Teams erlebt zu haben“. Selbst Real-Profi Kroos tauchte nahtlos in dieses trügerische Idyll ein: „Es war eine der Niederlagen, die am meisten Spaß gemacht haben, weil der Ball ganz gut lief.“

Was beide wohl erzählen werden, wenn im nächsten Spiel gegen die Niederlande ein Rückschlag erfolgt? Oder der Albtraum des Abstiegs in diesem wirren und höchst wertumstrittenen Bewerb doch Realität wird? Zur alles relativierenden Erinnerung: Die Nations League ersetzt Freundschaftsspiele. Es ist keine Qualifikation, kein Großereignis – trotzdem ist der viermalige Weltmeister nach drei Spielen der Liga A mit nur einem Treffer weiterhin Tabellenletzter.

Der Umgang mit Trainern

Fußball ist ein Kulturgut, jedes Land hat Millionen Teamchefs und Spielsysteme philosophischer Natur. Dennoch, der zusehends schwindende Respekt um den Berufsstand der Trainer weckt in Deutschland Besorgnis. Vereine verlieren schneller das Vertrauen, selbst an einem Mann mit Löws Verdiensten werde vorschnell harsche Kritik geübt, bekrittelt Gladbach-Coach Dieter Hecking in „SportBild“. Ihm missfalle, wie schnell harte Arbeit von außen (Unbeteiligte, Medien, Fans) schlechtgeredet werde. Dazu geselle sich eine Ungeduld, die nach nur zwei Niederlagen ein unerträgliches Ausmaß erreiche.

Als Beispiel diente ihm auch Niko Kovač. Der FC Bayern galt vor drei Wochen noch „als unschlagbar. Vier Spiele später ist von Krise und Absturz die Rede.“ Da stimme etwas nicht in der Wahrnehmung, der Realität. Die Schwankung sei „extrem“, für seine Branche sogar „gefährlich“ geworden. (fin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2018)

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